Der Ring des
Falken
Nachwort
Im
Herbst 1965 entdeckte ich
zum ersten Mal Les Baux.
Von der südlich
gelegenen Crau kommend,
steuerte ich auf die
kalkhell strahlende
Gebirgskette der Alpilles
zu, der ›kleinen Alpen‹.
Nach ein paar Kehren fiel
mein Blick plötzlich
auf die Ruinenreste der
Burg, die über einem
Felssporn in den klaren,
tiefblauen Herbst-himmel
ragten.
Das Les Baux von damals
ist mit der heutiger
Touristenattraktion, dem
Open-Air-Museum mitsamt
seinem schmuck
hergerichteten steinernen
Dorf, nicht zu
vergleichen. Der Ort
dämmerte nahezu
gänzlich verlassen
vor sich hin, eine
Ansammlung verfallener
Häuser, die Ruinen
von Dorf und Burg kaum zu
unterscheiden von den
bizarren und dann wieder
wie von Menschenhand
geformten Felsen, den
Buckeln und Quadern, den
ausgewaschenen
Löchern und
Höhlen. Überall
wuchsen wilder Salbei und
Rosmarin, Lavendel,
Thymian
und Ginster, die
Zweige und Blätter
von Oleander und
Tamarisken zitterten im
Wind.
Ich kletterte lange
zwischen den Ruinen und
den Felsen umher, wanderte
über das Plateau,
setzte mich an seinen Rand
und ließ meinen
Blick über die Zacken
der aufgetürmten
Felsen, über
Zypressenreihen und
Olivenhaine bis hin zum
fernen Schimmer des Meers
schweifen. Der Ort war wie
geschaffen zum
Träumen.
Später las ich
Berichte und
Erzählungen über
den mittelalterlichen
Musenhof und Cour
d‘Amour, über
Troubadoure und ihre
angebeteten Damen, die dem
Ansturm
schwärmerischer Verse
erlagen und sich dem
Sänger hingaben, die,
vom Ehemann ertappt, das
Herz ihres Troubadours
essen mussten, um
schließlich selbst
die Felsen
hinabgestürzt zu
werden.
Es war
hauptsächlich die
Ruinenromantik, die mich
damals faszinierte und die
an zahlreichen Orten der
Provence noch unverdorben
zu entdecken war. Das
nostal-gische Gefühl
brachte mich dazu, in
fernen Zeiten und Welten
›traumzuwandeln‹.
Zugleich hinterließ
dieses Ineinander von
Naturschönheit und
verfallenen
Kultur-denkmälern,
von strahlendem
Kalkweiß und
makellosem Azurblau, von
wärmender Sonne und
eiskaltem Mistral in
Verbindung mit den damit
verbundenen Geschichten
einen unvergesslichen
Eindruck.
In den
kommenden Jahrzehnten
besuchte ich Les Baux
häufig, bis es
endgültig von
Kunsthandwerkern entdeckt,
von Boutiquen besetzt und
Besuchermassen
überschwemmt wurde,
bis die touristische und
museale Herrichtung des
historischen Juwels sich
perfektionierte und ihm
zugleich seine
Faszinationskraft nahm.
Ich
will darüber gar
nicht lamentieren, weil
Les Baux, wie ich bei
meinem letzten Besuch kurz
vor Schreibbeginn des
Romans feststellen konnte,
nicht nur durch
Informationstafeln und reenactment
mit Steinschleuder und
Schwertkämpfen ganze
Schulklassen unterhalten
kann, sondern noch immer
in touristisch
ungünstigen Zeiten
den Zauber der
felsgeprägten
Ruinenlandschaft erahnen
lässt.
Gleichwohl: Ich
persönlich empfand
die ursprünglich von
mir erlebte und noch immer
intensiv erinnerte
Atmosphäre als
endgültig verloren,
und so wanderte ich in
wehmütiger Trauer
über das Plateau und
unter den sich
wölbenden Felsen
hindurch zu den
Türmen, bestieg auf
schmalen steilen Treppen
den Donjon und den
Saraze-nenturm und
ließ meinen Blick
über die perfekt
kultivierte Landschaft im
Süden gleiten.
Diesmal erstrahlte der
Himmel nicht im
Mistralblau, die Sonne
legte auch kein
abendliches Goldgelb
über die Kalkfelsen,
und vom Meer war kein
Silberstreif zu erahnen;
ein farblos-bleiernes
Licht lag über Les
Baux und erleichterte den
Abschied.
Was blieb und bleibt, sind
die Geschichten, die sich
mit Les Baux verbinden,
sind die sich erinnernde
Imagination und das
Bedürfnis, diese
versunkene Welt wieder in
fiktionaler Verkleidung
ins Leben
zurückzurufen.
Wie
aus dieser
Liebeserklärung an
›mein‹ Les Baux deutlich
geworden sein dürfte,
wurzelt die Idee zu dem
Roman Der
Ring des Falken in
dem Erlebnis des damals
Zwanzigjährigen.
Allerdings brauchte sie
Jahrzehnte, bis sie sich
schließlich
entfalten konnte.
Zu Beginn dieses
Entfaltungsprozesses
suchte ich einen
Protagonisten, der in der
Lage ist, reflektiert und
zugleich spielerisch mit
Sprache umzugehen; aus
seiner Sicht und in seinen
Worten wollte ich die
Geschichte erzählen.
Da bot sich natürlich
eine Troubadourfigur an.
Der Troubadour als Minnesänger
legte hinwiederum die
Liebe als Thema nahe, den
spannungsgeladenen
Dualismus der hohen
und niederen
Minne, der himmlischen
und
irdischen Liebe (wie
der Projekttitel des
Romans lautete). Hinzu kam
der Wunsch, meine eigene
Sehnsucht nach der Ferne
und meine nie
nachlas-senden
Suchbewegungen in eine
Figur zu projizieren.
Damit waren die Grundlagen
gelegt für eine Art
›Road-Novel‹ und zugleich
für einen Roman der
Suche.
In
zwei Punkten unterscheidet
sich Der Ring
des Falken von den
meisten meiner
historischen Romane.
Der erste Punkt betrifft
die Perspektive: Meist
erzähle ich betont
multiperspektivisch.
Diesmal habe ich mich
jedoch wie in der Heimlichen
Päpstin
für die eindeutige
und zugleich begrenzte
Perspektive des
rückblickenden
Ich-Erzählers
entschieden.
Der zweite Punkt bezieht
sich auf die
Historizität der
Protagonisten.
Gewöhnlich wähle
ich eine historisch
belegte Figur als Held
bzw. Heldin und halte mich
an ihre Lebens-daten. In
dem Ring des
Falken sind der
erzählende
Protagonist und weitere
Zentralfiguren fiktiv.
Gleichwohl ist ihre
Geschichte passgenau in
einen historischen Kontext
eingebettet, an dem so gut
wie nichts verändert
wurde: in die Zeit um 1200
und in die ersten Jahre
des Stauferkaisers
Friedrich II.. Die
Ereignisse, die sich mit
den im Personenverzeichnis
genannten Figuren
verbinden, seien sie
berichtet, seien sie mit
der Handlung verwoben,
sind bis auf Kleinigkeiten
historisch verbürgt.
Dass eine möglichst
weitgehende
Authentizität in der
dargestellten Alltagswelt
der Ritter, Troubadoure
und Gaukler, der Orte,
Reiserouten und zentralen
Ereignisse (wie der
Eroberung von
Béziers oder der
Schlacht von Bouvines)
angestrebt ist, versteht
sich von selbst.
Ein
Hinweis noch zur
Entstehung der
eingestreuten Gedichte. In
der Regel handelt es sich,
so die originale Form
nicht sofort erkennbar
ist, um Übernahmen,
um spielerische, ja,
parodistische Abwandlungen
und Fortschreibungen von
Troubadourlyrik (Peire
Vidal, Guilhem de
Cabestanh, Bertran de
Born, Giraut de Bornelh),
von Gedichten des Walther
von der Vogelweide sowie
zwei königlichen
Rittern.
Ganz
bewusst habe ich mich
für ein Minimum an
fremdsprachlichen
Schreibungen,
Einfügungen,
Begriffen usw.
entschieden, nicht ohne
außer Acht zu lassen
und zu thematisieren, dass
der Protagonist sich in
einer vielfältigen
Sprachen- und
Dialekt-landschaft bewegt.
Eine sprachhistorisch
exaktes und in sich
stimmiges Einfügen
spezifischer Wörter
und Bezeichnungen und
schon gar
umgangssprachlicher
Wendungen ist praktisch
nicht möglich, selbst
wenn man, wie ich es
teilweise getan habe,
Spezialwörterbücher
(z.B. des
Altprovençalischen)
heranzieht.
Zum
Schluss möchte ich
betonen, dass das Ziel
auch dieses Romans wieder
darin liegt, Leserin und
Leser historische
Faktizität im
fiktionalen Gewand
möglichst fesselnd
nahezubringen, ihn auf
eine Zeitreise
mitzunehmen, die ihn
unterhält und
zugleich sein Wissen um
die conditio
humana erweitert und
vertieft.
Zur
verwendeten Literatur
Die
von mir verwendete
Literatur an dieser Stelle
vollzählig
aufzuzählen,
würde den Rahmen
sprengen. Dennoch
möchte ich wichtige
Werke nennen, die sich
nicht ausschließlich
mit Spezialthemen (wie
Kleidung, Ernährung,
Falkenjagd usw.)
beschäftigen:
Insbesondere über den
Staufer Friedrich II. habe
ich die neueste Literatur
herangezogen (das
zweibändige opus magnum
von Wolfgang Stürner
über Friedrich
II. sowie die erst
kürzlich erschienene
sehr lesenswerte
Biographie von Olaf B.
Rader: Friedrich
II.
Der Sizilianer auf dem
Kaiserthron,
außerdem Uwe A.
Osters Die
Frauen Kaiser Friedrichs
II.. Andere wie die
bereits ältere
Biographie von Eberhard
Horst kamen hinzu. Zupass
kam mir die interessante
Staufer-Ausstellung
in Mannheim mit den beiden
höchst informativen
Ausstellungsbänden;
sie zog eine Reihe von
informativen
Zeitschriftenausgaben und
dazugehörigen
Büchern über die
Stauferzeit nach sich.
Was den
gesamten Alltag der
hochmittelalterlichen
Ritterkultur angeht, fand
ich insbesondere Joachim
Bumkes Höfische
Kultur. Literatur
und
Gesellschaft im hohen
Mittelalter
nützlich. Diesem Buch
verdanke ich viel. Es ist
nicht nur wissenschaftlich
sauber und bezieht sich
auf die von mir
gewählte Epoche,
sondern reflektiert auch
überzeugend die
Aussagekraft
mittelalterlicher Quellen,
zeigt somit auf, dass die
anschaulichen fiktionalen
Schilderungen aus den
großen Epen von
Chrétien de Troyes,
Wolfram von Eschenbach,
Hartmann von Aue usw.
nicht unbedingt als
wirklichkeitsgetreue
Zeitzeugnisse genommen
werden dürfen. Knapp
in der Darstellung, doch
umfassend und gut
bebildert sowie auf neuem
Stand ist das Begleitbuch
zu der Ritter-Ausstellung
in Speyer 2003 von Andreas
Schlunk und Robert
Giersch: Die
Ritter. Geschichte,
Kultur, Alltagsleben.
Ich
möchte noch Linda M.
Patersons The
World of the
Troubadours. Medieval
Occitan Society 1100 –
1300, Robert
Fossiers Das
Leben im Mittelalter
sowie Richard Barbers und
Juliet Barkers Die Geschichte
des Turniers
erwähnen; das
letztgenannte Werk
differenziert nach Ort und
Zeit und verhindert, dass
das populäre, am
Spätmittelalter
ausgerichtete Turnierbild
(und die entsprechenden
Darstellungen in Romanen
wie in Filmen) auf die
Stauferzeit
zurückprojiziert
wird.
Hilfreich waren ebenfalls
die Werke Dieter
Kühns, der Wolfram
von Eschenbachs Parzival
und Gottfried von
Straßburgs Tristan und
Isolde in heutiges
Deutsch übersetzt und
dabei einen umfangreichen
Material-Apparat
angefügt, der sich
auch in seinen
Büchern über Neidhart
und Wolkenstein
mit dem Alltag der
Minnesänger
auseinandergesetzt hat.
Die Informationen
über die
provençalischen
Troubadoure und ihre
Lieder entnahm ich dem
Band Die
Trobadors. Leben und
Lieder (Sammlung
Dietrich), und bei Walther
von der Vogelweide griff
ich auf eine von Peter
Wapnewski übersetzte
und kommentierte Ausgabe
zurück.
In heutiger Zeit kommt man
ohne das Internet nicht
mehr aus: Es liefert
häufig auf die
schnellste Weise
benötigte
Informationen; dennoch
bleibt das
neunbändige Lexikon des
Mittelalters
unverzichtbar.
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