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Der Traum von Canossa. Erzählung


Frederik Berger: Der Traum von Canossa.
Bußgang und Versöhnung der Mathilde von Tuszien

in: Die 13. Stunde, S. 51 - 79, Berlin 2010 (Aufbau Verlag),
391 Seiten, 9,95 €


Das Schreiben des Romans Canossa. Aus den geheimen Annalen des Lampert von Hersfeld hat mein Interesse an den dramatischen Lebensgeschichten des salischen Kaisers Heinrich IV. und der Markgräfin Mathilde von Tuszien noch nicht abgeschlossen. In den Jahren nach ›Canossa‹ (1077) bleiben beide in einer tragischen Verstrickung miteinander verbunden, und erst nach Heinrichs IV. Tod gelingt eine Versöhnung der Markgräfin mit seinem Sohn und Nachfolger Heinrich V..

Bevor Mathilde sich aus dieser Welt zurückzieht, erinnert sie sich in szenischen Schlaglichtern an die Nahtstellen ihres Lebens wie ihres politischen Wirkens und zieht eine schonungslose Bilanz. Endlich mit sich im Reinen, kann sie Heinrichs Sohn, der ihr eigener hätte sein sollen, in die Arme schließen. Dieser Versöhnung mit dem salischen Kaiserhaus und mit sich selbst widmet sich – aus der Sicht Mathildes – die Erzählung Der Traum von Canossa.






Mathilde von Tuszien


Beginn der Erzählung

Weiß.
Grellweiß wie der letzte Schmerz, der Kopf und Glieder zerspringen lässt. Sanftweiß wie das Vergessen, das all die bunten Lichter des Lebens verschluckt, wie das Leinentuch, das über den leblosen Körper gezogen wird.
Eine im Sonnenlicht gleißende, im Flockenwirbel ins Graue spielende Fläche, in die verschwimmende Ferne gezogen, Schneemassen, die Hügel und Felder bedecken, die Ebene ununterscheidbar machen, dazu eine Kälte, die den großen Fluss zu Eis erstarren lässt, so dass Pferde, Sänftenträger und ganze Heere darauf entlangstapfen können.
In der Ferne sieht sie schwarze Pünktchen, zu Beginn so klein wie Vogelkot, dann fast unmerklich anwachsend – ja, sie bewegen sich, die Pünktchen werden zu schwarzen Flecken, zu einer langen Reihe von Menschen und Tieren.
Er zieht heran, Heinrich, der Vierte seines Namens, der König der Deutschen aus dem Geschlecht der Salier, ihr Vetter, der geliebte Spielgefährte ihrer Kindheit.
Nun kann sie Mensch und Tier unterscheiden. Die Rüstungen bündeln die Strahlen der kalten Sonne und schicken sie wie blitzende Pfeile über das Land. Immer mehr Reiter erkennt sie, müde vom langen Ritt, die Pferde mit hängenden Köpfen, zwischen ihnen die Sänften der lombardischen Bischöfe, die König Heinrich unterstützen, ihn drängen, die Burg von Canossa zu erobern und Papst Gregor, der hier als ihr Schutzbefohlener Zuflucht gefunden hat, gefangenzunehmen und abzusetzen.

In ängstlicher Erwartung, zugleich mit freudigem Bangen sieht Mathilde, Markgräfin von Tuszien und Canossa, König Heinrich entgegen, den sie immer sehnsüchtig geliebt hat, von dem sie sich jedoch schweren Herzens hatte lossagen müssen. Zu vergeblich schien ihr die Liebe, zu drängend das Bedürfnis, ihr Seelenheil zu retten.
Sie sieht die Formationen seiner zu Heeresstärke angeschwollenen Gefolgsleute. Sie sieht sogar Bertha, die treue Ehefrau und Königin, den dreijährigen Konrad auf dem Arm. Als der Kleine Mathilde zuwinkt, fliegt sie ihm entgegen, sie spürt nicht die Schärfe des Winds und die Kälte der Flocken, fast geblendet vom gleißenden Schnee erreicht sie die königliche Familie und umarmt König und Kind, ja, sie nimmt Bertha den Buben aus dem Arm, sie entreißt ihn ihr förmlich. Der Kleine juchzt auf und strahlt. Zu dritt ziehen sie der hochaufragenden Burg entgegen, Heinrich und sie und der kleine Konrad; Bertha ist nirgendwo mehr zu sehen. Hochrufe und Jubel schallen ihnen entgegen, selbst der Papst hebt seine Hand zum Segen.

Im Aufwachen, bei schmerzenden Gliedern im noch kalten, zugigen Raum, unter feuchten Federn und Laken, erschien Mathilde das Bild, das sich ihr eingebrannt hatte wie kein anderes in ihrem Leben: König Heinrich im Schnee vor Canossa, vor der dritten Umfassungsmauer ihrer uneinnehmbaren Burg, im härenen Gewand – so würde es später heißen, so schickte man die Botschaft in die Welt –, barhäuptig und barfuß lag der Büßer im Schnee, gestand seine Sünden und flehte den Heiligen Vater Gregor VII. um Gnade an, um vom Bannfluch der Exkommunikation erlöst zu werden.
...

Markgräfin Mathilde versuchte, sich endgültig aus dem immer wiederkehrenden Traum und ihren bedrängenden Erinnerungsgedanken zu befreien, denn es galt, eine letzte, wichtige Aufgabe zu erfüllen. Man schrieb das Jahr des Herrn elfhundertelf, gut 34 Jahre lag Heinrichs Bußgang nun zurück, Mathilde stand in ihrem 65. Lebensjahr. Nach einem gebetsreichen Winter im Kloster von Polirone war sie, geplagt von Gicht und heftigen Rückenschmerzen, nach Canossa zurückgekehrt, um dort den jungen, soeben in Rom zum Kaiser gekrönten Heinrich, den Fünften seines Namens, mit offenen Armen und in großzügiger Gastfreundschaft zu empfangen. Ja, sie sehnte den Tag herbei, an dem sich sein Sohn im Frühlingsgrün ihrer Burg näherte. Der Sohn, den sie sich immer gewünscht hatte. Es würde der Tag ihrer Erlösung werden.
...

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