Schon zu
Lebzeiten galt
Caterina Sforza, die
Madonna von Forlì,
ihren Gegnern als la
tigressa ,
ihren Bewundern als
la prima donna
d'Italia .
Jahrhunderte
unvergessen blieb
ihre Racheorgie nach
dem Tod ihres
obsessiv geliebten
zweiten Ehemanns
Giacomo Feo,
unvergessen aber
auch der heroische
Widerstand gegen
Cesare Borgia, der
nur durch äußerste
Brutalität gebrochen
werden konnte und
der die düsterste
Periode ihres Lebens
einleitete.
Bis ins 19.
Jahrhundert sagte
man in Forlì
mehreren Brunnen
nach, in ihnen
bleichten noch die
Knochen derjenigen,
die durch sie zu
Tode gekommen seien.
Überall in der
Romagna erzählte man
sich, unerlöst
wandle Caterina
Sforza nachts durch
die Räume ihres
Palazzos und suche
die Seelen ihrer
Opfer, um
Mitternacht schaue
sie zu ihrem Stern,
um ihm die
Geheimnisse der
Zukunft zu
entlocken. Und immer
wieder reite sie auf
einem uralten
Schimmel, in ein
Netz gehüllt, zum
deutschen Kaiser, um
Hilfe zu erflehen.
Das nahe Florenz
gelegene Kloster
Santa Maria delle
Murate, in dessen
Oratorium sie
beigesetzt worden
war, wurde im Jahre
1835 zu einem
Gefängnis umgebaut,
und dabei entdeckte
man zufällig ihre in
Vergessenheit
geratene letzte
Ruhestätte. Was von
ihren Gebeinen noch
übriggeblieben war,
warf man zum
Bauschutt.
Die
Rocca und die
Zitadelle von
Forlì stehen
dagegen heute
noch. Die
Zitadelle ist
ebenfalls ein
Gefängnis und
für Besucher
gesperrt; die
angrenzende,
trutzig vor
sich
hindämmernde
Rocca zeigt an
der Stelle, an
der die
Kanonen Cesare
Borgias die
Bresche
geschossen
hatten, das
Wappen des
Eroberers.
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Die
Rocca von
Ravaldino in
Forlì
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Gedenktafel
an der Rocca
v. Ravaldino
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An
der
gegenüberliegenden
Mauer wurde
ein
Gedenkstein
aus Marmor
angebracht,
der an
Caterina
Sforzas
'unerschrockene',
wenn auch
letztlich
vergebliche
Verteidigung
der Festung
erinnert.
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Ihre gut
dokumentierte und
biographisch
mehrfach
erschlossene
Lebensgeschichte
liest sich bunt wie
ein Roman, düster
wie eine Tragödie
und burlesk wie
manche Operette,
gelegentlich auch
unglaublich wie ein
Schauermärchen. Die
Einbildungskraft des
Erzählers brauchte
nicht viel zu
erfinden. Das
historisch
überlieferte Bildnis
der Caterina Sforza
zeigt eine durch und
durch ambivalente
Persönlichkeit; sie
war eine virago
('Heldenjungfrau'
übersetzt das
Lexikon), deren
Fruchtbarkeit
erstaunlich, deren
Zähigkeit
bewundernswert und
deren physische
Stärke unglaublich
waren. Auch ihr
erotischer Hunger
galt schon den
Zeitgenossen als
Ziel spöttischer
Anmerkungen. Doch
ebenso hob man ihren
Sinn für
Gerechtigkeit, ihre
Klugheit, ihre
Schönheit und ihren
Charme hervor.
Mögen manche
überlieferten
Ereignisse ihres
Lebens von
kritischen
Historikern auch
angezweifelt werden,
so ist das meiste,
auch wenn es
unwahrscheinlich
klingt, doch von
unbestechlichen
Augenzeugen und
Chronisten ihrer
Zeit überliefert, so
zum Beispiel von
Leone Cobelli in
seiner Chronik der
Stadt Forlì oder
auch von Niccolò
Machiavelli.
Caterina selbst hat
viele Zeugnisse
hinterlassen,
Briefe, auch ihre esperimenti:
Aufzeichnungen über
Schönheitsrezepte,
Heilmittel gegen
Krankheiten und
Anleitungen für die
Alchimistenküche.
Ihr letzter, größter
Sieg über ihre
Widersacher erfüllte
sich erst lange nach
ihrem Tod. Ihr
jüngster Sohn
Giovanni de' Medici,
genannt Giovanni dalle
bande nere ,
entsprach dem
Wunschtraum seiner
Mutter. Er wuchs zu
einem unzähmbaren
jungen Mann heran
und wurde schon früh
Condottiere. Sein
unerschrockener
Wagemut, sein
militärisches
Geschick und seine
charmante
Überzeugungskraft
ließen ihn zum
letzten großen
italienischen
Condottiere werden,
zum Liebling seiner
Landsleute, zum
Schrecken seiner
Gegner. Der gran
diavolo
wurde nicht alt: Mit
achtundzwanzig
Jahren fiel er vor
Mantua. Er
hinterließ jedoch
einen Sohn Cosimo,
der als erster
Großherzog der
Toskana in die
Geschichts- und
Kunstbücher einging.
Seine Enkelin Maria
de' Medici, von
Rubens in mächtigen
Bildfolgen verewigt,
heiratete Heinrich
IV. von Frankreich
und wurde somit zur
Mutter der Bourbonen
und der Stuarts. Der
Sonnenkönig Ludwig
XIV. ist ihr
Urenkel, und ihre
genetischen Spuren
finden sich in den
meisten europäischen
Herrscherhäusern.
Caterina Sforza
wurde also durch
ihren jüngsten Sohn
zur Ahnfrau
ruhmreicher Könige
'von Gottes Gnaden',
in ihren Augen
sicher ein später
Triumph
ohnegleichen.
In unseren Augen mag
die dynastische
Karriere ihrer
Nachkommen weniger
beeindrucken, weil
Caterina Sforza
selbst uns
fasziniert: In ihrer
Mischung aus
Penthesilea und
Kriemhild, Johanna
von Orleans und
Mutter Courage
sprengt sie den
Rahmen, den
feinsinnige
Renaissancefürstinnen
vorgeben. Als
Kämpfende und
Rächende, Liebende
und Leidende ist sie
eine der
schillerndsten
Frauengestalten, die
Europa
hervorgebracht hat.
Das eigentlich
Fesselnde an ihr
bleibt jedoch ein
Geheimnis. Dieses
Geheimnis versucht
der Roman Die
Madonna von Forlì
erzählend zu
erkunden.