Fritz H.
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Über Autor
Fritz Gesing oder auch Frederik Berger

Mittlerweile ist er ein alter weißer Mann.

Um die Jahreswende 1960/61 war er ein junger Mann. Er las damals Albert Camus‘ Der Mythos von Sisyphos, und heute, über sechzig Jahre später, sieht es so aus, als hätte diese Lektüre sein Leben bestimmt. Er war damals fünfzehn Jahre alt und offen für eine lebenswirksame Prägung. Sah sich als absurden Menschen,  im Schein der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki gestoßen in eine absurde Welt. Er las Camus‘ Gedanken, während die Öffentlichkeit über den nuklearen Overkill diskutierte, lernte gleichzeitig Griechisch, sah der  ersten Tanzstunde entgegensah und verliebte sich vorher noch in eine junge Dame namens Lilli, die jedoch in einem kommunistischen Land lebte, das bald mit Hilfe einer Mauer diese Liebe unterband. Für das Leben in einer absurden, sinnlosen Welt sah Camus eigentlich nur eine Konsequenz: den Selbstmord. Oder das künstlerische Schaffen. Der Selbstmord verschmähte den jungen Mann, er machte stattdessen Abitur, meldete sich freiwillig zur Bundeswehr, desertierte dann jedoch und verweigerte den Kriegsdienst. Er heiratete später seine Tanzstundendame, zeugte einen Sohn, doch die Ehe scheiterte nach einigen Jahren und hatte sein Leben in eine Sackgasse geführt.

Albert Camus hatte ihn früh gelehrt: Im künstlerischen Schaffen konnte man der Sinnlosigkeit die Stirn bieten. Auch wenn man die Absurdität des Lebens nie zu überwinden vermochte. Der Stein würde rollen. Daher wollte er bereits als junger Mensch Schriftsteller werden. Er hielt an diesem Lebensziel fest, auch in unfruchtbaren und erfolglosen Zeiten. Nie ließ er nach, den Stein aufwärts zu wälzen, um den Gipfel des Bergs zu erreichen. Aber der Stein rollte ins Tal, und wieder macht sich der „Berger“ ans Werk.


 








 

Als junger Mann begann er nach dem Studium der damals wichtigen modernen Lyriker Gedichte zu schreiben und konnte das erste im Alter von zwanzig Jahren veröffentlichen. Dann änderten sich Zeiten und Geschmack, man erklärte den Autor sogar für tot. Doch in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erwachte er wieder aus seiner Scheintoderstarrung. Auch unser mittlerweile nicht mehr ganz junger Mann schrieb Erzählungen und Romane, ein Politstück. Ein paar Erzählungen wurden veröffentlicht, auch das Stück aufgeführt, aber die Romane blieben Nullnummern für die Schublade. Einer schrammte haarscharf an einer Veröffentlichung vorbei, aber beinahe macht bekanntlich keine Mücke tot. Der unermüdliche Autor begriff damals schon, dass er literarisch zwischen den Stühlen saß und dass es dort nicht unbedingt bequem zugeht. Es folgten Brotberuf, Auslandsaufenthalte, brüchige Beziehungen – wer strebend sich bemüht, kann dennoch am Berg scheitern. Der Autor wechselte eine Weile ins Wissenschaftsfach, verfasste dennoch weiterhin fiction zwischen E und U, meist für die Schublade.

Mit non-fiction hatte er mehr Glück: Er verfasste und veröffentlichte wissenschaftliche Aufsätze, literarische Essays, Buchrezensionen, Reiseberichte, Ratgeber. Sein Buch zum amerikanischen creative writing, zum Handwerk des Schreibens, stieß erst einmal auf ein ablehnendes „Braucht’s das?“. Doch bald darauf änderte sich die Verlagsdenke: Plötzlich wurde es ihm aus der Hand gerissen (siehe Link). Kreativ schreiben erschien 1994 und verkauft sich, mittlerweile in einer erweiterten Neufassung, noch immer gut: Ein Standardwerk. Wer hätte das gedacht.

Und dann machte er sich an einen Stoff, der ihn schon lange faszinierte und den er bereits Jahrzehnte zuvor aus der Provence mitgebracht hatte. Eigentlich ein Vater-Sohn-Drama in historischem Gewand. Doch schließlich wurde eine tragische Geschichte aus der Spätrenaissance und den Vorboten der Religionskriege daraus, ein Epochenporträt. Die Zeit, Ende der Neunzigerjahre, war günstig, sein Agent verfügte über den richtigen Kontakt, der Verlag hatte gerade einen historischen Bestseller veröffentlicht und schaute sich nach guten Stoffen um. Aus dem Autor Fritz Gesing wurde Frederik Berger. Sein Roman kam auf den Markt, schaffte aus dem Stand zu seiner Überraschung den Sprung auf Bestsellerhöhen, er war nun als Autor anspruchsvoll-unterhaltender historischer Romane etabliert, der nächste Roman verkaufte sich zur Überraschung der Verlagsleute noch besser. Dann erschien nahezu jedes Jahr ein weiterer Roman. Auch im Alter von sechzig und mehr Jahren gelang es dem „Berger“ noch, den Stein bis hoch zum Gipfel zu wuchten. Doch unten am Berg zogen die Karawanen weiter, mit leichter Kost beladen. Die Verkaufszahlen der letzten Romane zeigten, dass er mit seinen Themen, Epochen und Darstellungsformen nicht mehr recht reüssieren konnte. Es gibt viele Wege zum Gipfel, und am Fuße des Bergs liegt auch nicht nur ein Stein. Also wandte er sich neuen Themen, Zeiten, Figuren zu. Weiterhin anspruchsvoll, aber unterhaltend. Er kehrte zugleich zu seinen Wurzeln zurück. Zeitgeschichte, Gegenwart. Themen: Familie, Kindheit, Altersprobleme. Aber der Wechsel sprach gegen die ursprüngliche „Akquise“, und die Quote forderte Anpassung an etwas, was er als Niveauverlust empfand und verweigerte.

Die Folgen: Danke, wir haben schon. Außerdem hieß es: Wir sind an Literatur von und für Frauen zwischen 25 und 45 interessiert. Weniger an der Literatur alter weißer deutscher Männer. Man muss das verstehen und sich aufs Altenteil zurückziehen. Hinzu kam die Corona-Blockade mit der Folge, dass man für die Schublade beziehungsweise die Festplatte oder den Stick schreibt. Immerhin: Kreativ schreiben, seit ein paar Jahren in einer erweiterten Fassung, verkauft sich noch immer gut.

Mittlerweile lebensgeschichtlich angegraut, schrieb er seine Autobiografie, die er mit der Geschichte seiner Familie verband und einer historischen Chronologie der Nachkriegszeit bis in die jüngst vergangenen Jahre. Er veröffentlicht wieder Aufsätze übers Schreiben, bereitet ein Sachbuch über die italienische Renaissance vor, nicht allein für Frauen in den besten Jahren, die meist mit Beruf, Beziehungen und Kindern beschäftigt sind, sondern für alle Italien- und Geschichtsinteressierten.

Er fotografiert und bearbeitet seine alten Fotos.

Er wartet auf das Corona-Ende, um wieder seine langen Reisen aufzunehmen.





Die Zukunft wird übersichtlich.

Albert Camus‘ Schlusssatz ist unvergessen und muss als Botschaft verstanden werden: „Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“




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