|

|
 |
|
|
Die Madonna
von Forlì
als Taschenbuch
La
Tigressa
Beginn des Romans
|
|
Caterina
Sforza,
signora di
Forlì,
impavida col
ferro e col
fuoco difese
la sua rocca,
mirabile
esempio di
energia e di
valore
al tramonto
del triste
secolo XV.
Caterina
Sforza, die
Herrin von
Forlì,
verteidigte
unerschrocken
mit Feuer und
Schwert ihre
Burg,
ein
bewundernswertes
Beispiel an
Tatkraft und
Tapferkeit
am Ausgang des
traurigen 15.
Jahrhunderts.
Gedenkstein
an der Rocca
von Forlì
|
|
TEIL
I: Die Schlange und
die Rose
1.
Kapitel
Caterina
war wütend. Soeben
hatte die neunte
Stunde vom Torturm des
Castello Sforzesco
geschlagen, Girolamo
mußte jeden Augenblick
erscheinen. Täglich
galoppierte er auf
Brutus, seinem Rappen,
in den Innenhof des
herzoglichen Palasts,
sprang mit einem Satz
aus dem Sattel, und
Caterina mußte an sich
halten, ihm nicht in
die Arme zu fliegen.
Sie liebte ihren
lockigen Reitlehrer
aus dem alten
Mailänder
Adelsgeschlecht der
Olgiati, weil er stark
und sanft war,
atemberaubende
Kunststücke auf dem
Rücken seines Pferdes
beherrschte und ihr
alle Tricks zeigte,
wie sie Maestoso,
ihren Schimmelhengst,
zu reiten habe.
Heute jedoch hatte
ihre sehnsüchtige
Vorfreude ein jähes
Ende gefunden. Ihr
Vater, Galeazzo Maria
Sforza, der Herzog von
Mailand, hatte ihr
verboten, mit Girolamo
das Castello zu
verlassen und in das
angrenzende
Parkgelände zu reiten.
"Es ziemt sich nicht
für die Tochter eines
Herzogs", hatte er ihr
vom Rücken seines
Pferdes zugerufen.
"Wenn ihr zusammen
reiten wollt, dann
bleibt im Hof der
Zitadelle. Denk daran,
daß du kein Kind mehr
bist. Irgendwann endet
das verantwortungslose
Leben."
Sie verstand ihn
nicht. Was war heute
anders als gestern?
Wäre sie heute
fünfzehn Jahre alt
geworden und damit ins
heiratsfähige Alter
gekommen - dann hätte
sie ihn vielleicht
verstanden. Aber sie
war erst dreizehn!
Sonst verbot er ihr
nie etwas. Er nahm sie
mit auf die Jagd und
spielte mit ihr
pallacorda, sie durfte
beim Nachtmahl an
seiner Seite sitzen
und wurde von ihm
immer wieder in die
Arme genommen. Meist
roch er wunderbar nach
Zedernbalsam. Zu ihrem
zwölften Geburtstag
hatte er ihr Maestoso
geschenkt. Einen
stolzen andalusischen
Hengst! Solche Pferde
waren rar und teuer.
Außerdem wurden
Hengste nur von
Männern geritten, von
erfahrenen Reitern.
Aber sie konnte mit
Pferden umgehen wie
keine zweite, das
wußte ihr Vater, und
mit einem braven,
gutmütigen Gaul mochte
sie sich nicht
zufrieden geben.
Caterina starrte ihrem
Vater nach, wie er,
begleitet von ein paar
Soldaten, durch das
Nordtor verschwand,
ohne sich noch einmal
umzudrehen. Ungezügelt
fuhr sie sich in ihre
strenggeflochtenen
Haare und stieß einen
leisen trotzigen
Schrei aus. Warum
mußte der Vater ihr
gerade heute ihre
größte Freude nehmen!
Zum ersten Mal war es
ihr gelungen, sich
beim Reiten auf
Maestosos Kruppe zu
stellen - und dieses
Kunststück wollte sie
Girolamo vorführen.
"Ich reite, wann und
mit wem und wohin ich
will!" rief sie ihrem
Vater nach. Natürlich
konnte er sie nicht
mehr hören.
Als sich Girolamo
endlich hinter einer
Reihe schwerbeladener
Maultiere durch das
Tor schob, sah sie
bereits an seiner
Miene, daß der Vater
auch ihm sein Verbot
mitgeteilt haben
mußte. Caterina sprang
ihm entgegen, ihr Herz
schlug bis hoch in den
Hals. Girolamo, mit
Brutus am Zügel,
begrüßte sie knapp.
"Wir müssen im Großen
Hof reiten. Wie
langweilig! Aber Seine
Herrlichkeit hat es so
befohlen." In
höhnischer Verachtung
verzog er seinen Mund.
"Also auf, gehorchen
wir dem Sohn eines
Condottiere und einer
illegitimen
Visconti-Tochter!"
Caterina überging den
Seitenhieb gegen ihren
Vater, berührte
Girolamo wie
unabsichtlich und
flüsterte ihm zu: "Ich
muß dir heute etwas
zeigen."
Er wirkte wenig
neugierig, und sie
erfaßte erneut
trotzige Wut gegenüber
dem väterlichen
Verbot. Sie ärgerte
sich allerdings auch
ein wenig über
Girolamos Verhalten.
"Laß uns in den Park
reiten", flüsterte sie
ihm ins Ohr.
Gleichzeitig schaute
sie, ob jemand sie
beobachtete. Die
Wachen lungerten
gelangweilt im
Torschatten, die
Gärtner harkten die
Rabatten, und die
Händler ließen ihre
Lasten vom Rücken
ihrer Maultiere
abladen. Bona, ihre
Stiefmutter, die
morgens gerne am
Brunnen des Cortile
stickte und sich dabei
von Caterinas
Musiklehrer
schmachtende Lieder
vorsingen ließ, war
noch nicht erschienen.
Niemand beachtete
Caterina, und sie sah
Girolamo auffordernd
an.
"Du weißt doch, daß es
dein Vater verboten
hat", sagte er
unschlüssig.
Caterina zog
verächtlich die
Augenbraue hoch. "Du
bist ein Feigling!"
rief sie leise. "Mein
Vater ist längst weg.
Der kommt so schnell
nicht wieder."
"Die Torwachen sehen
uns ... "
"Sie sagen nichts. Und
wenn: Ich werde mit
meinem Vater schon
fertig."
Girolamo schaute noch
immer skeptisch.
"Nur in den Park! Ich
muß dir unbedingt
etwas zeigen." Sie
schwang sich in den
Sattel.
Girolamo folgte ihr.
Ohne sich umzublicken,
trabte Caterina durch
das Tor. Einige der
Wachsoldaten schauten
erstaunt, aber keiner
rief ihr etwas nach.
Kaum lag der letzte
Wassergraben hinter
ihr, galoppierte sie
los, als sei die Armee
des Teufels ihr auf
den Fersen.
Maestoso flog mit ihr
an einer Baumgruppe
entlang und durch
einen Hohlweg zu einer
Lichtung, die von
Sonnenstrahlen
durchschnitten war.
Als sie auf eine freie
Wiese hinausstürmte,
mußte sie geblendet
die Augen schließen.
Hinter ihr hörte sie
Girolamos
Anfeuerungsrufe und
die donnernden Hufe
seines Wallachs. Dann
schloß er auf. Als sie
nebeneinander
galoppierten, stellte
er sich auf Brutus'
Kruppe, der auf seinen
Befehl hin langsamer
wurde. Caterina
zügelte Maestoso
ebenfalls. Vorsichtig
zog sie die Beine an,
kniete sich auf den
Sattel und stellte
sich ebenfalls. Es
gelang ihr! Sie
juchzte auf.
"Bravo!" schrie
Girolamo. "Du bist
meine Göttin!"
Beide Pferde bewegten
sich fast im
Gleichschritt.
Girolamo reichte
Caterina die Hand. Sie
nahm sie, hielt sie
fest. Was für ein
unglaubliches Gefühl
der Leichtigkeit und
Unbesiegbarkeit! Sie
schwebte, sie flog! Es
war, als würden die
langmähnigen Rosse des
Sonnengottes sie bis
in den siebten Himmel
tragen.
Vor einer Gruppe von
Schirmpinien blendete
sie die Sonne, und als
sie in den Schatten
der Bäume tauchte, sah
sie auf einmal nichts
mehr und wurde einen
Augenblick unsicher.
Sie verlor Girolamos
Hand, schon taumelte
sie. Sie versuchte,
sich auf den Sattel zu
retten, aber es gelang
ihr nicht, ein Wirbel
aus Pinienhimmel,
Pferdeleibern,
Girolamos
erschrockenen Augen,
und dann ein dumpfer
Schlag. Sie sah
Sterne. Die Luft blieb
ihr weg. Sie konnte
nicht atmen. Auch dann
nicht, als Girolamos
ängstliches Gesicht
über ihr auftauchte.
Da erschien Maestoso
und stupste sie mit
seinem Maul. Sie
wollte etwas sagen,
stöhnte nur.
"Hast du dich
verletzt?" hörte sie
von ferne. Girolamo
beugte sich nieder,
nahm ihren Kopf in
seine Arme.
Warum küßt er mich
nicht? dachte sie
noch, dann wurde ihr
schwarz vor Augen.
Irgendwann kam sie
wieder zu sich. Sie
versuchte zu lächeln.
Girolamo schrie auf
vor Freude. Er
bedeckte ihr Gesicht
mit Küssen, drückte
ihren Kopf an seine
Brust.
"Tut dir etwas weh?"
Sie schüttelte den
Kopf. Sie war
lediglich ein wenig
benommen. Unaufhörlich
küßte er sie, auf die
Stirn, auf die Augen
und schließlich auf
die Lippen.
"Ich liebe dich",
flüsterte er und
drückte sie so an
sich, daß ihr erneut
die Luft wegzubleiben
drohte.
Schließlich zog er sie
an den Stamm der Pinie
und lehnte sie an die
rauhe Rinde. Ihr ging
es schon wieder gut.
Es roch wunderbar nach
Harz und frischem
Gras. In der Nähe
mußten Veilchen
blühen. Caterina
atmete tief durch. Die
Pferde rupften
zufrieden die Halme,
vertrieben mit
leichten
Schweifschlägen die
Fliegen. Ihr war
tatsächlich nichts
geschehen bei dem
Sturz. Daß sie eine
Weile nicht atmen
konnte, kannte sie aus
ihrer Kindheit. Sie
war oft gestürzt, nie
hatte sie sich etwas
gebrochen, lediglich
eine Narbe über dem
Auge davongetragen.
Bis auf den Tod
darnieder lag sie in
ihrem bisherigen Leben
lediglich einmal, mit
einem gräßlich
juckenden Ausschlag,
hohem Fieber und
Kopfschmerzen, daß sie
fast aus dem Fenster
gesprungen wäre. Immer
saß die Großmutter an
ihrem Bett, hielt ihre
Hand, legte ihr einen
nassen Lappen auf die
Stirn, sprach leise
mit einem Medicus und
betete. Manchmal las
sie ihr auch
Geschichten von
griechischen Heldinnen
vor. Dann kam sogar
ihr Vater von einem
Kriegszug zurück.
Ihretwegen! "Du darfst
nicht sterben!" rief
er aufschluchzend aus.
"Du bist mein
Liebling!" Sie wollte
ihn trösten, weil er
so mit ihr litt, und
gewiß nicht sterben,
sondern immer sein
Liebling bleiben. Er
legte sich sogar zu
ihr ins Bett, nahm sie
in den Arm und weinte!
Es war das einzige
Mal, daß sie ihn
weinen sah.
Prompt wurde sie
wieder gesund.
Jetzt dagegen war gar
nichts geschehen. Sie
war nur glücklich.
Girolamos Lippen
näherten sich ihr
wieder. Sie kam ihm
entgegen, und beide
sanken sie auf den
Boden. Ihre Körper
umklammerten sich,
süße, drängende
Schauer rasten durch
ihr Inneres, sammelten
sich im Unterleib,
dort, wo die Ehre
einer Jungfrau gehütet
werden mußte. Ihre
Stiefmutter hatte ihr
kürzlich flüsternd und
stockend erklärt, was
geschah, wenn Männer
und Frauen sich
liebten, und sofort
betont, sie, des
Vaters Augapfel, müsse
auf ihre
Jungfräulichkeit
besonders achtgeben,
weil sie sonst keinen
Mann finde, im Kloster
lande und dort
vertrockne wie eine
wurmige Backpflaume,
die auf den Boden
gefallen sei ...
Girolamo hatte seine
Zunge zwischen ihre
Lippen geschoben.
Caterina wollte sie
zurückdrängen, sie
ließ sich jedoch nicht
vertreiben, sondern
spielte mit ihrer
Zunge. Während sie
dieses Spielchen
fortsetzten, ergriff
Girolamo ihre Hand und
führte sie unter den
Saum seines Wamses. Da
bewegte sich etwas,
wurde dick und hart.
Er stöhnte auf, wand
sich wie vor
Schmerzen, und als sie
schon glaubte, er
hätte sich irgendwie
verletzt, warf er sich
über sie, preßte sich
an sie, zuckte mit den
Beinen und sank
schließlich kraftlos
neben sie. Sie schaute
in sein Gesicht. Er
hatte die Augen
geschlossen, lächelte
entspannt und
glücklich. Sie bettete
ihren Kopf auf seine
Brust. Stumm fuhr er
mit seinen Fingern in
ihre dichten Haare und
bedeckte mit ihnen
sein Gesicht.
Sie lagen lange reglos
unter dem Dach der
Pinie, während durch
die Zweige die
Strahlen der Sonne auf
sie fielen, und als
Caterina die Augen
schloß, bildeten sich
orangefarbige Ringe,
die ineinanderflossen,
sich vereinigten,
explodierten und dann
wieder zu hellen
Punkten schrumpften,
während gleichzeitig
die Vögel um sie herum
ihre Gesänge in den
Himmel schmetterten.
Plötzlich hörte
Caterina ein dumpfes
Dröhnen, das sich
ihnen rasch näherte.
Sie fuhr auf. Ein
Dröhnen von vielen
Pferdehufen! Auch
Girolamo schreckte
hoch. Da donnerten sie
heran! Vorneweg ihr
Vater, neben ihm Onkel
Lodovico. Ihnen
folgten Jagdaufseher,
Falkner und mehrere
Milizionäre. Einen
Augenblick hoffte
Caterina, sie und
Girolamo könnten
unentdeckt bleiben.
Die Fuchsstute ihres
Vaters wieherte, als
wollte sie sie warnen,
und schon hatte er sie
entdeckt. Er riß das
Pferd herum, die
anderen folgten ihm.
Rot vor Wut, sprang er
aus dem Sattel.
Girolamo hatte sich
erhoben, half Caterina
auf die Beine.
"Wie kannst du es
wagen ...?" schrie ihn
der Vater an. "Gegen
mein Verbot ... Du
Ratte!"
Girolamo zuckte
zurück, reckte dann
stolz den Kopf und
funkelte ihn an.
Caterina ahnte, was
nun geschehen würde.
Bevor sie sich
dazwischenwerfen
konnte, schlug der
Vater ihm mit der
flachen Hand ins
Gesicht, und als
Girolamo nicht einen
Schritt zurückwich,
sondern Augen und
Lippen zusammenpreßte,
schlug er mit der
Faust zu. Die
Jagdgesellschaft
bildete einen stummen,
undurchdringlichen
Ring. Girolamos
Verhalten reizte den
Vater noch mehr, das
sah Caterina. Eine
falsche Bewegung oder
ein falsches Wort -
und der Vater würde
seinen Dolch ziehen.
Zum Glück warf sich
Girolamo auf die Knie
und rief: "Verzeiht
mir, großmütiger
Herzog!" Es klang wie
Hohn. Er wiederholte
seine Worte mit
zitternder Stimme. Der
Vater riß einem der
Milizionäre einen
Degen vom Gürtel und
peitschte mit der
Klinge auf Girolamo
ein.
"Hör auf!" schrie
Caterina.
Der Vater hielt inne,
warf ihr einen bösen
Blick zu, preßte
Girolamo die Spitze
des Degens unters
Kinn, stieß "Wag es
noch einmal, elende
Ratte!" aus, warf dann
den Degen dem
Milizionär zu und
schwang sich wieder
auf sein Pferd. Er
winkte seinen
Begleitern, und die
Gruppe donnerte davon.
Der Vater hatte sie
keines weiteren
Blickes mehr
gewürdigt, lediglich
Onkel Lodovico drehte
sich um und grinste
höhnisch. Sie streckte
ihm wütend die Zunge
heraus.
Girolamo erhob sich
langsam. Er zitterte,
und sein Gesicht war
bleich wie der Tod.
Während er sein Wams
zurechtzupfte, starrte
er der Reitergruppe
nach, die nun hinter
einem Wäldchen
verschwand. Caterina
wollte ihn in den Arm
nehmen, aber irgend
etwas hielt sie
zurück. Girolamos
Gesichtszüge
verzerrten sich. Sie
wußte nicht, ob die
Wut ihm diese Grimasse
ins Gesicht schrieb
oder ob er nur ein
Aufheulen zu
unterdrücken
versuchte. Mit
marionettenhaften
Bewegungen griff er
nach Brutus' Zügeln,
warf Caterina einen
schmerzlich-liebenden,
aber auch verwundeten
und wütenden Blick zu,
sprang in den Sattel
und jagte in
gestrecktem Galopp
davon.
"Warte!" rief sie ihm
nach. Er drehte sich
jedoch nicht mehr um.
|
|
|
|
|