Dieser
Ausspruch, der Voltaire wie Chr. M. Wieland
zugeschrieben wird, enthält eine der entscheidenden
Leitlinien des vorliegenden Buchs. Es versucht,
Prinzipien, Mittel, Möglichkeiten und Grenzen
leserfreundlicher Literatur auszuloten über
die Grundlagen hinaus, die ich bereits in meinem
ersten Band Kreativ schreiben. Handwerk und
Techniken des Erzählens erörtert habe.
Ferner diskutiert es am Beispiel gegenwärtiger
Bestseller die Bedingungen und Geheimnisse erfolgreichen
Erzählens. Es wendet sich an Autorinnen
und Autoren mit Schreiberfahrung und soll helfen,
die Reflexion über den eigenen Standpunkt,
über die eigenen Möglichkeiten zu
vertiefen und womöglich besser und erfolgreicher
zu schreiben.
Meine
Überlegungen stehen in der Tradition des
angelsächsischen Creative Writing, das
häufig als Ausfluß konventioneller
Regelpoetik mißverstanden und zugleich
mit arroganter Geste als Anleitung bloß
unterhaltender oder sogar trivialer Machwerke
abgetan wird. Alle ernsthaften Autoren des Creative
Writing die meisten unter ihnen sind
selbst Verfasser erzählender Literatur
betonen jedoch, daß letztlich nicht
die Regel, sondern das Funktionieren des Textes
entscheidend ist. Wenn etwas gegen die Regel
funktioniert, umso besser: Es setzt sie nicht
außer Kraft, modifiziert sie höchstens.
Schreiben ist nach unserer Vorstellung keine
mechanische Anwendung von Techniken, sondern
kreatives Tun, das wie alle Kunst
auf handwerklicher Grundlage beruht und sich
in einem Spannungsverhältnis von Konvention
und Abweichung entfaltet, daraus seinen Reiz,
sein Geheimnis und nicht zuletzt seine Potenz
gewinnt. Um Mißverständnisse von
vorneherein zu umgehen, sollte man das belastete
Wort Regel vermeiden und von Prinzipien sprechen.
Unsere
Poetik gründet sich auf tief im Menschen
verankerte Erzähl- und Lesebedürfnisse
und ihre optimalen Bedingungen. Daher schauen
wir immer wieder auf die Wirkung eines Textes
und seinen Erfolg. Für mich wie für
alle Autor(inn)en, die ihr Publikum nicht vor
den Kopf stoßen, verwirren oder belehren
wollen, sind Leser Freunde oder Geschwister
im Geiste. Wir möchten ihnen eine Geschichte
erzählen, die sie auf eine kluge und klare,
fesselnde und berührende Weise unterhält,
sie zum Nachdenken verlockt und ihr Wissen fördert
über uns Menschen und die verschlungenen,
abenteuerlichen und nicht immer angenehmen Wege,
auf denen wir in Vergangenheit und Gegenwart
wandelten und wandeln.
Der
Roman ist zwar Linse, nicht Spiegel (um Umberto
Eco zu zitieren), aber an der Linse interessiert
die Möglichkeit, den Menschen genauer ins
Blickfeld zu rücken, nicht ihr ungewöhnlicher
Schliff mitsamt der dazugehörigen »Brechung«.
Mit anderen Worten: Die literarischen Techniken
sind für uns Mittel zum Zweck, in einer
optimalen Kommunikation mit den Lesern unsere
Geschichte wahr und wirkungsvoll zu erzählen
und keinem Zwang zu Originalität und Selbstreferenz
unterworfen.
Ein
Plädoyer für leserfreundliche Literatur
bedeutet nicht, daß der Sinn intellektuell
herausfordernder Experimente sowie sprachlich
ungewöhnlicher Erzählformen bestritten
würde. Allerdings erreichen sie nur einen
kleinen Kreis von Interessierten und sind noch
nicht an sich künstlerisch wertvoll.
Hinzu kommt, daß auftrumpfende Originalität
oft genug unausgesprochenen Vorschriften und
Verboten folgt, also konventioneller ist, als
sie wahrhaben will. Die Leere eines Sprachklischees
oder einer Handlungsschablone, wie sie uns in
trivialer Literatur häufig begegnet, korrespondiert
mit der Sterilität eines funktionslosen
Manierismus und einer inhaltsarmen Handlung
ohne fesselnde Elemente. Klischee und bloßes
Kunstsignal sind zwei Seiten eines Kriterienkatalogs:
Beide kennzeichnen sie wenig überzeugende
Literatur.
Kunst
ist durchaus Kunstgriff, aber nicht nur, um
durch Verfremdung auffällig zu machen,
sondern ebenso, um durch Eleganz, Intensität,
Phantasie zu verführen. Es gilt, eine spannungs-
und lustvolle Nähe herzustellen, interessierte
Neugier, auch und gerade für das Fremde,
das die Literatur für ihre Leser immer
bereithält.
Zum
Schluß drei Anmerkungen: Obwohl ich die
wichtigsten Ergebnisse meines ersten Bandes
Kreativ schreiben in dem Kapitel »Zur
Erinnerung« stichwortartig zusammenfasse,
halte ich die grundsätzliche Vertrautheit
mit ihm für sinnvoll, da ich seine Ausführungen
und Beispiele als bekannt voraussetze. Nützlich
wäre auch die Kenntnis von Dan Browns Sakrileg,
Nick Hornbys About a Boy und Sven Regeners Herr
Lehmann, da sich meine Beispielanalysen in erster
Linie auf diese Romane beziehen.
Daß
die Genus-Bezeichnungen Autor und Leser Autorinnen
wie Leserinnen umfassen, sollte selbstverständlich
sein, gleichwohl sei es betont was wäre
die schöne Literatur ohne das schöne
Geschlecht!
Dank
gebührt für das Gegenlesen des Manuskripts
und die hilfreichen Anmerkungen Fotis Jannidis
und Hermann Schlüter sowie meiner Frau
Patricia, die wie immer engagierten und zugleich
geduldigen Anteil an meiner Arbeit nahm.
»Die
Schriftstellerei ist für mich keine freie
Kunst, sondern ein Handwerk.«
(Nikolai
Lesskow)
»Gutes
Schreiben ist doch immer die Verbindung von
zugespitztem Leben und Handwerk, nie
das eine ohne das andere.«
(Bodo Kirchhoff)