U und E
oder:
Wann wird Unterhaltung zur
Literatur?
(In:
"Federwelt" 2017)
Es ist
schon eine Weile her, da
schickte ich ein
Romanmanuskript über eine
Vater-Tochter-Geschichte
an eine der
renommiertesten
Verlagsagenturen in
Deutschland und bat um
Begutachtung und, im
positiven Fall,
um Vermittlung.
Die
Antwort war freundlich,
auch was das Manuskript
betraf,
dennoch ablehnend. Die
Begründung: „Zu
anspruchsvoll für pure
Trivialliteratur,
nicht literarisch genug
für die literarischen
Programm der gängigen
Verlage.“
Ich saß
mit meinem Roman also
zwischen zwei Stühlen, und
diese beiden Stühle hatten
die sich damals auch im
Literaturdiskurs
einbürgernden Label U und
E. U stand für
Unterhaltung, für
Trivialliteratur,
für Genre und
„kommerzielle“ Romane, E
für die „eigentliche“,
„ernsthafte“,
„seriöse“, „literarische“
Literatur, für Hochkultur,
für das, was in den
Feuilletons der
anspruchsvollen Zeitungen
und Zeitschriften
besprochen, was
Preise erzielt und in den
akademischen Seminaren
untersucht wurde. U wurde,
um
Lessing abzuwandeln, gern
gelesen, E wurde gelobt– und deutlich
weniger verkauft.
Nun war
mir die Unterscheidung
seit meiner Schulzeit
durchaus geläufig. Damals,
zu Beginn der sechziger
Jahre des vorigen
Jahrhunderts, galt die
sogenannte
Trivialliteratur als
leicht, mehr noch: als
seicht und nichts wert,
verkaufte sich zwar gut,
wurde aber allerhöchstens
akzeptiert als Lesestoff
für die kulturell
Anspruchslosen, für die
Unterschichten und
„Ungebildeten“ oder, um
einen weiteren Agenten zu
zitieren,
als bloßes „Konsumfutter“.
Wir, die wir uns die
stilistischen Eigenheiten
und
Darstellungsformen der
Hochkultur aneignen
mussten (von Goethe bis
Thomas Mann,
von Franz Kafka bis Günter
Grass), schauten
verächtlich auf Heinz
Konsalik,
Johannes M. Simmel, Utta
Danella und warfen sie,
von unseren Lehrern
angeleitet, alle
naserümpfend in den Topf
„trivial“. „Echte“
Literatur waren
die Klassiker, die sich
durch Geschichtsresistenz
auszeichneten, waren die
Romane der Moderne, welche
die Gegenwart nicht
„einfach 1 zu 1
abbildeten“,
sondern durch Kunstgriffe
verfremdeten. Die seriöse
Literatur bewies ihren
Wert
durch experimentelle,
verschlüsselte,
„widerständige“ Formen,
war
„sprachmächtig“ und
„selbstreflexiv“, nahm
wenig Rücksicht auf die
Unterhaltungsbedürfnisse
ihrer Leser, war auf jeden
Fall nicht „eingängig“.
Sie
verachtete Konventionen
und tradierte Formen. Sie
war, um mit Ezra Pound zu
sprechen, „Neues, das neu
bleibt“. Originalität war
einer ihrer höchsten
Werte,
und darüber hinaus war sie
auch nicht „affirmativ“,
sondern in ihrem Herzen
antibürgerlich,
sozialkritisch. Sie war
und wollte „schwierig“
sein. Was nicht
verstanden wurde oder nur
mit professioneller Hilfe
zu verstehen war (nehmen
wir James Joyce‘ Ulysses
als
Beispiel), galt als das
Non-plus-ultra der
Literatur.
Hinzu kam
etwas, was damals eine
größere Rolle als heute
spielte und was die
wertenden Begriffe bereits
erahnen lassen: Die
Lektüre und
Kenntnis von
anspruchsvoller
Feuilleton-Literatur
zeigte einen hohen
Bildungsgrad an und war
ein soziales
Distinktionsmerkmal. Dabei
kannte die
Arroganz der literarischen
Oberlehrer kaum Grenzen:
Lion Feuchtwanger und Hans
Fallada zum Beispiel waren
nahezu vergessen und auf
dem Markt nicht existent,
und sogar Hermann Hesse,
bald darauf der
spirituelle Führer einer
ganzen
Generation, galt als nicht
recht ernst zu nehmen,
weil zu eingängig.
Ohne einen
mehr oder weniger
mühsamen, auf jeden Fall
zeitraubenden Lernprozess
war dieser literarische
Bildungsgrad nicht zu
erreichen. Wer schließlich
gelernt hatte, sich in den
Höhenlagen der
anspruchsvollen
literarischen Werke zu
bewegen, wer einmal all
die schwierigen
(und nicht immer
kurzweiligen) Lektüren
durchlesen und durchlitten
hatte,
wollte sich von seinem
Gipfelanspruch nicht mehr
herunter begeben in das
bequemere Tiefland, an
dessen ausgetretenen Wegen
spannende, fesselnde,
realistische Werke
angeboten wurden. Anders
ausgedrückt: Für ihn kam
die
Lektüre der
„Trivialliteratur“ nicht
mehr in Frage. Wollte er
nicht nur an
Texten herumknobeln oder
sich von dem langen Warten auf Godot
erholen, las er zum
Beispiel Thomas Mann und
Max
Frisch, zwei Autoren aus
der ersten
Feuilleton-Liga, die
allerdings über weite
Strecken gut lesbar waren.
Beide
gehör(t)en zu meinen
literarischen Favoriten.
Vielleicht
lag es auch an ihnen, dass
ich, als ich vor über
vier Jahrzehnten meinen
ersten Roman schrieb, zwar
anspruchsvolle Literatur
verfassen, aber zugleich
gut lesbar sein wollte.
Mein Ziel war eine
Geschichte,
welche die Engländer „a
good read“ nennen. Es
dauerte eine Weile, bis
ich
begriff, dass ich mit
meinen Bemühungen zwischen
den Stühlen des
literarischen
Markts saß und dass dieser
Zwischenraum ziemlich
ungemütlich ist: Die
Verlagsleute wissen nicht,
wohin sie dich setzen
sollen – und du landest
auf
dem harten Boden nicht
gerade erfreulicher
Absage-Tatsachen.
Bis heute
irritiert (und ärgert)
mich, dass die scharfe,
ausschließende Trennung
zwischen den beiden
literarischen Bereichen
noch immer
besteht, dass sie so
wertend, zugleich aber
auch häufig kaum greifbar
ist und
sogar geleugnet wird. Es
ist durchaus zu sehen,
dass sie teilweise
abgebaut
erscheint: durch die
Öffentlichkeit der neuen
Medien (von den
Amazon-Kritiken
bis hin zu
Literaturportalen wie Lovelybooks)
und die weniger wertenden
Lektürekriterien der
jüngeren Generation, zudem
durch
die unaufhaltsame
Marginalisierung der
Hochkultur im Allgemeinen.
Dennoch wirkt
sie weiter in unseren
Köpfen, in der
Verlagsorganisation, im
Feuilleton, bei
der Verteilung von
Preisen, an Universitäten
und Schulen – und auch in
literarischen
Vereinigungen.
Schaut man
auf die Verlagslandschaft,
sieht man sogenannte
Publikumsverlage, die
kommerziell ausgerichtet
sind und keinen
zeitgenössischen
Kafka verlegen, und die
anderen, namhaften,
„literarischen“ Verlage,
deren
Produkte vom Feuilleton
besprochen werden (von
Suhrkamp über Hanser bis
Rowohlt, um ein paar
Beispiele zu nennen).
Diese „literarischen“
Verlage müssen
ihre schwierigen Autoren
quersubventionieren,
publizieren daher auch
Genre und
Unterhaltung, darüber
hinaus Sachbücher,
gleichwohl haben sie
eigene Lektorate
für die „eigentliche“
Literatur. Und damit
zementieren sie – selbst
wenn sie
die Bedeutung der
weiterhin geltenden Kluft
zwischen U und E leugnen –
die
Aufteilung in die
wertvolle und in die
triviale Literatur.
Es gibt
noch weitere Beispiele
dafür, dass das binäre
Denken
mit gravierenden
Auswirkungen fest in
unseren Köpfen verankert
ist.
Zudem
beobachte ich, dass es
kaum Überschneidungen
zwischen
den Gruppen der U-Autoren
und der E-Schriftsteller
gibt, sieht man von den
eher
gewerkschaftlich und
politisch ausgerichteten
Vereinigungen ab. Ich war
immer
an einer Mischung und
Integration interessiert,
sehe aber keine
Möglichkeit,
den Autor eines
historischen Romans und
die Autorin einer bei
Suhrkamp
erschienenen
Mainstream-Geschichte auf
einer Party zu einem
anregenden Gespräch
zu verleiten. Wenn ich
mich irren sollte, würde
ich mich freuen. Es gibt
auch
so gut wie keine Partys,
auf denen sie sich treffen
könnten: In der Sause nach
der Preisverleihung in
Klagenfurt sucht man
Autoren oder Autorinnen
von
Liebesromanen und
historischen Krimis
vergeblich, bei den
Literaturtagungen in
Akademien tauschen
E-Autorinnen und
Feuilletonisten ihre
Argumente aus, die
anderen sind nicht
anwesend oder wagen nicht,
sich zu outen. Ähnliches
gilt für
die Buchmessen-Fêten der
großen Verlage: Auf einer
solchen Veranstaltung in
einer edlen Frankfurter
Villa trank ich zwar den
edlen Bordeaux des
Hausherrn,
lauschte wie alle anderen
der berühmten Jazzsängerin
aus New York, wagte
allerdings nicht, mich
unter die
Hofschranzengruppe des
damals noch unter uns
weilenden
„Kritikerpapstes“ MRR
small-talk-plaudernd zu
gesellen. Auch wenn
mein Lektor noch kurz
zuvor geäußert hatte, wir
seien „die Ochsen, die den
Karren ziehen“, fand er
doch keine Zeit für mich.
So unterhielt ich mich als
Quersubventionierer aus
der Konsumfutter-Abteilung
des historischen Romans
gewinnbringend mit dem
Bodyguard des Hausherrn
und ließ mich dann von
einer
jungen Frau, die sich als
Literaturscout für den
Verlag in London umtat,
über
die dortige Szene
informieren.
Dies hört
sich nach gekränkter
Eitelkeit an, ich gebe es
zu,
und ich will auch nicht
leugnen, dass ich gehofft
hatte, mein Lektor würde
mich
anderen Autoren und
Autorinnen vorstellen, um
so ein Gespräch zu
eröffnen. Die
Hoffnung blieb vergeblich,
der Aufmerksamkeits-Segen
des Literaturpapstes blieb
aus, und so erfuhr ich
zumindest etwas
Informatives über die
Tätigkeit eines
Bodyguards und einige
Neuigkeiten über die
kreativen Nächte in
London. Im
Anschluss durfte ich die
echten
Marilyn-Monroe-Warhols auf
der Männertoilette
des Hausherrn bewundern.
Als ich in
das Genre des historischen
Romans hineinrutschte,
war mir bewusst, was von
mir vonseiten des Verlags
und auch der Leser
erwartet
wurde: Um gut verkauft zu
werden, hatte ich mich an
die Regeln einer
konventionellen Poetik zu
halten, also an das, was
ich in meinem „Kreativ
schreiben“-Buch selbst
dargelegt hatte. Ich
wollte keinen
Originalitätspreis
gewinnen, sondern Leser,
ich bemühte mich um
historische Authentizität,
wollte
anspruchsvoll,
realistisch, informativ,
aber auch lebendig und
fesselnd
schreiben und mein eigenes
Anspruchsniveau – zwischen
den Stühlen – nicht
verraten. Das Interesse
der Leserschaft war da,
ich freute mich über die
Verkaufszahlen, musste
dann jedoch irritiert
hinnehmen, dass sich
frühere
Fachkollegen naserümpfend
von meinen Produkten
abwandten, weil ich sie
angeblich „nur um des
Geldes willen“ verfasste.
Sie kannten meine
Schreibmotive
ganz offensichtlich besser
als ich selbst, der ich
zum Genre „Historischer
Roman“ gekommen war, weil
ich mich bereits zwei
Jahrzehnte zuvor in meiner
damaligen Wahlheimat
Provence von einem
tragischen Familiendrama
aus der Zeit
der beginnenden
Religionskriege hatte
faszinieren lassen. Dieser
historische
Stoff ließ mich nicht los,
und so schrieb ich
schließlich die Geschichte
nieder, die bereits zwei
Jahrzehnte auf mich
gewartet hatte. Dass sie
sich aus
dem Stand so gut
verkaufte, hatte ich zwar
gehofft, doch nicht
wirklich
erwartet.
Ich wurde
sogar in einer Diskussion
über mein Schreiben
angegriffen, weil ich mich
angeblich auf die Ebene
der Trivialliteratur
begeben
hatte. Sollte ich mich
wirklich gebrandmarkt
fühlen als jemand, der um
des
schnöden Mammons willen
seine literarischen Ideale
verraten hatte? Natürlich
spielte dabei auch Neid
eine Rolle. Die von
Ahnungslosigkeit zeugenden
Vermutungen über die Höhe
meiner Einnahmen waren
nicht zu überhören, aber
eben
auch die eingefleischte
Abwertung der
„Unterhaltung“ (von
Leuten, die selber
nicht viel anderes lasen,
nebenbei gesagt).
Manche
meiner Kollegen und
Kolleginnen des
historischen
Genres konfrontierten mich
mit der anderen Seite der
Medaille. Vieles war nur
Gemurmel unter
vorgehaltener Hand, aber
dann drang doch einiges an
mein Ohr:
Ich galt plötzlich als
„Schiller“ (!!) und damit
als arrogant. Kolleginnen
trompeteten in den Raum:
„Ich schreibe Unterhaltung!“
und
wehrten auf diese Weise
eine Diskussion um
Formfragen, thematische
Klischees und sprachliche
Qualität von vorneherein
ab. Unterhaltung!
hieß hier: Egal wie
seicht, abgedroschen und
sprachlich angreifbar,
Hauptsache, es verkauft
sich.
In meinen
Augen war und ist
entscheidend, die Vielfalt
literarischer Äußerungen
und deren Berechtigung
anzuerkennen,
Autorintentionen
(sowie, nebenbei:
-fähigkeiten) und
Leserbedürfnisse wertfrei
zuzuordnen. Dabei
kann und muss man sehen,
dass es nicht nur die
beiden scheinbar
unüberbrückbaren
Gegensätze U und E gibt,
sondern eine weite Skala
literarischer Äußerungen,
die sich durchaus
kategorisieren lassen.
Bekanntlich
unterscheiden die
Angelsachsen zwischen
„high-, middle- und
lowbrow“-Anspruch.
Sie siedeln also zwischen
der schwierigen,
„akademischen“ Literatur
und der
eher leichten Unterhaltung
noch einen weiten
Zwischenbereich an, einen
Bereich,
der besonders gern gelesen
wird, weil er Anspruch mit
Leserfreundlichkeit
verbindet, weil er
intelligent und zugleich
fesselnd geschrieben ist
und
Klischees vermeidet.
Darüber
hinaus kann man noch
genauere Unterschiede
herausarbeiten:
Es gibt eine voll
schematisierte
Heftchenliteratur (früher:
Groschenromane)
und, etwas
anspruchsvoller, die
Trivialromane, die
ebenfalls nach festen
Mustern konstruiert sind
und sich sprachlich auf
einfachem Niveau bewegen.
Es
gibt den anspruchsvollen
Unterhaltungsroman, der in
der Regel einem Genre
zuzuordnen ist und –
realistisch und mimetisch
geschrieben – letztlich
konventionell bleibt. Die
beiden E-Bereiche umfassen
den Mainstream-Roman, der
sich zumindest theoretisch
durch eine eigene bzw.
eigenwillige Sprache
auszeichnet, häufig sogar
durch eine ungewöhnliche
Stilgeste, und der für
seine
Darstellung im Idealfall
(implizit) eine eigene
Poetik entwickelt. Im
Grunde
wird dieser Roman
kategorisiert durch die
Verlage, in denen er
erscheint, durch
ihre Lektorate und
Marketing-Abteilungen,
sowie durch die
Feuilletons, die
bereit sind, ihn zu
besprechen. Und
schließlich kann man noch
die
experimentelle Literatur
anführen, die mit höchstem
Originalitätsanspruch
alles
Eingängige, Populäre von
sich weist, die nicht
unterhalten oder
„zerstreuen“
(Goethe) will, sondern
provozieren, schockieren,
verunsichern, die „beißen
und
stechen“ und „die Axt für
das gefrorene Meer in uns“
sein will (Frank Kafka).
Man mag
nun meine Ausführungen für
überholt oder lediglich
für nicht zu
verallgemeinernde
persönliche Erfahrungen
halten und die Versuche
der Differenzierung für zu
theoretisch und im Zug der
Veränderungen im
Medienbereich für obsolet.
Natürlich hat sich im
Bewusstsein, im Geschmack
und
in den Bewertungen während
der vergangenen zehn Jahre
etwas verändert: Große
Buchhandlungen – wie
Hugendubel zum Beispiel –
trennen zwar deutlich nach
Genre, aber nicht mehr
nach U und E. Der eigene
Tisch für die Preise
einstreichende und
erwartende
Feuilleton-Literatur ist
aufgelöst. Auch
versuchen die meisten
Autoren, sich der Schere
im Kopf bewusst zu sein,
die
sogenannte Unterhaltung
ist komplexer geworden,
als sie es noch unter
Johannes
Mario Simmel und Anne
Golon war, die
Kriminalliteratur will zum
Teil als
E-Literatur ernst genommen
werden, und die
anerkannten Autoren der
E-Sparte
fügen plötzlich Morde in
ihre Geschichten und
verwenden („zitieren“)
typische
Skripts und
Konstellationen der
Genre-Literatur.
Doch
sobald eine Agentur oder
ein Lektorat die
Manuskripte
auf eine mögliche
Publikation zu beurteilen
haben, geht es um
Schubladen und
bald auch schon darum, wer
ins Töpfchen, wer ins
Kröpfchen kommt.
Wie wenig
sich geändert hat und wie
kompliziert die Lage auf
dem Markt ist, musste ich
während der vergangenen
zehn Jahre mehrfach
erleben,
als ich versuchte, nicht
nur historische Romane zu
veröffentlichen, sondern
wieder in das
Gegenwarts-Mainstream-Fach
überzuwechseln. (Nebenbei
gesagt: Ich
war nicht der einzige, der
diese Erfahrung machen
musste.)
Es hieß
immer noch: „Manuskripte,
die sich zwischen
Literatur und U-Literatur
bewegen, haben es in
Deutschland leider nicht
immer
ganz leicht.“ So drückte
sich mein Agent aus.
Eine
seiner Kolleginnen wurde
noch deutlicher und sprach
Klartext: „Wer zweigleisig
fährt, und zwar als
deutscher Autor – für
Ausländer
gelten andere Regeln, ganz
klar! –, stößt auf
Betonvorurteile. Wer von U
kommt
und auf E reüssieren will,
wer historisches Genre
schreibt und in die
Gegenwart
oder Zeitgeschichte
wechselt, wird von
vorneherein als nicht
erfolgreich
abgelehnt. Und außerdem:
die middlebrow-Zone
zwischen
U und E wird für deutsche
Autoren nicht gesehen oder
akzeptiert.
Entweder E oder U,
Anspruch oder Kommerz.“
Ihre Worte
stellten sich als
prophetisch heraus: Einmal
Genre-U, immer Genre-U.
Als ich meinem Verlag eine
Gegenwartsgeschichte
schmackhaft zu machen
versuchte, lernte ich: Wen
wireinmal „als Autor
historischer Romane
akquiriert“ (wörtlich!)
haben, der bleibt für uns
immer Autor historischer
Romane, selbst wenn der
Markt längst nicht mehr so
günstig ist und dieses
Genre
sich nur noch mäßig
verkauft.
Wie absurd
das Verhalten der Verlage
ist, zeigt sich daran,
dass sie unterschiedliche
Maßstäbe an ausländische
und deutsche Autoren
anlegen. Die Behauptung
der Agentin lässt sich im
Übrigen leicht an den
Programmen der Verlage –
natürlich immer unter dem
Vorbehalt, dass Ausnahmen
die Regel bestätigen –
nachprüfen.
Da kann
man nur noch mit dem Kopf
schütteln. Oder, besser
für die seelische
Gesundheit: mit den
Achseln zucken.
Wer mag
(und es finanziell nötig
hat), kann natürlich ins
(historische) Krimifach
oder zu Love&Landscape
wechseln, kann sich an
Erotik oder Fantasy
versuchen, wie zahlreiche
meiner Kolleginnen und
Kollegen es
getan haben und noch tun.
Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit, gut
und schön,
beides gehört zu unserem
kreativen Vermögen – doch
sind wir reine
Content-Lieferanten
worden? Heute Napoleons
letzte
Liebe, morgen Die
Farm am
Sambesi, übermorgen
Heiße
Nächte,
dunkle Taten und
schließlich Blutkelch
und
Opfergang?
Vielleicht noch Humor? Der
nächste Mann ist wieder
eine Frau.
Soll
U-Literatur also bedeuten:
Auswechselbar, leicht zu
konsumieren, nur noch
marktadäquat?
Kommen wir
zu den Ursprungsfrage
zurück, zur Frage nach dem
Unterschied zwischen der
„eigentlichen“ Literatur
und den „bloß“
unterhaltenden
Werken. Es ist eine Frage,
die sich jeder Autor, jede
Autorin stellen sollte,
und zwar nicht nur, damit
er oder sie zwischen den
Stühlen landet. Wir sind
kreative – und ich denke
auch: intelligente –
Menschen, die über ihr Tun
nachdenken,
die bestrebt sind, das
Beste aus sich heraus zu
holen, und die zugleich
realistisch und
lebenspraktisch genug
sind, um zu wissen, dass
sie für ein
Publikum schreiben, dass
sie in der Regel
Vermittler brauchen und
Teilnehmer
eines medialen Marktes
sind. Nicht zuletzt wollen
die meisten von uns Geld
verdienen und sogar von
ihrem Schreiben leben,
mehr noch: eine Familie
ernähren. Wie schwer es
ist, all diese Ansprüche
unter einen Hut zu
bringen,
wissen wir. Ohne
Kompromisse geht es nicht.
Wie weit jeder von uns
bereit ist,
sie einzugehen, ist eine
Entscheidung, die uns
niemand abnehmen kann.
Jenseits
von Verlagsverträgen,
Honorarvorschüssen,
Leserunden und den
Diskussionen mit unseren
Agenten geht es immer auch
um die
Frage nach der Qualität
von U und der Lesbarkeit
von E. Aber wie
unterscheiden
wir das eine von dem
anderen, ganz konkret,
jenseits der abstrakten
Begriffe?
In einer Spiegel-Rezension
las ich vor einiger Zeit
eine kurze Reflexion
darüber, ob die von dem
Autor
druckgraphisch verwendeten
Anführungszeichen vor
direkter Rede schon ein
Zeichen für
Unterhaltungsliteratur
seien. Es war kein Scherz,
sondern ernst
gemeint. Er wollte sagen:
Fehlende Anführungszeichen
sind ein Mittel, welches
das allzu glatte
Runterlesen und Zuordnen
erschwert. Es verstößt
absichtlich
gegen eine tradierte
druckgraphische Regel und
ist somit ein Kunstsignal.
Andere, weniger äußerliche
Kunstsignale fallen mir
ein: Man nennt einen
Protagonisten nur „er“ und
nicht mit Namen, auch
dann, wenn der
grammatikalische Bezug
unklar ist und man
nachdenken muss, wer
eigentlich
gemeint ist. Oder, um bei
der Personenbezeichnung zu
bleiben: Selbst wenn der
Erzähler dem Protagonisten
perspektivisch sehr nahe
rückt, nennt er ihn immer
mit dem distanzierenden
Nachnamen und erzeugt auf
diese Weise eine narrative
Dissonanz. Oder noch
irritierender: Er nennt
ihn durchweg nur „der
dürre
Junge“. Intention: Weg von
einer emotionalen
Identifizierung, hin zu
Stolperstellen, zu
erhöhter Aufmerksamkeit,
weg vom Lese-Flow, hin zur
Unterbrechung der
Lese-Illusion, zu
Verfremdung, „aufgerauter“
Sprache,
Distanzierung.
Bleiben
wir kurz bei der Sprache,
die immer schon ein
entscheidender Faktorbei der Wertung
literarischer Texte war.
Wer sich einmal
unvoreingenommen auf
Goethes Faust
oder, scheinbar ganz
harmlos,
Thomas Manns Erzählung Herr und Hund
eingelassen hat und ein
wenig Gespür für
Beschreibungsgenauigkeit,
rhythmische
Eleganz, Wortwitz,
stilistische Vielfalt und
Variationsfähigkeit hat,
der weiß,
zu was die deutsche
Sprache fähig ist, der
sieht, wer ein großer
Sprachkünstler
ist. Und wenn er sich
anschließend auf die von
sprachlichen Klischees und
Stilbrüchen triefenden, in
Wortwahl, Satzbau
grundschulhaft simplen,
rhythmisch
holpernden und dann auch
noch mit schiefen Bildern
garnierten Texte eines
Herrn
X oder einer Frau Y
einlässt, der kennt den
Unterschied zwischen „gut“
und
„schlecht“, was die
literarische Sprache
angeht.
Ein
Beispiel aus der Abteilung
„Anspruch“: Man kann eine
eigentlich banale
Geschichte auch sprachlich
so aufpeppen (ein
Kunstgriff,
vielleicht auch nur ein
Kunstsignal!), dass der
Leser vor lauter
Dechiffrierungsschweiß gar
nicht merkt, wie banal das
alles ist, was er liest.
Ich denke da zum Beispiel
an einen sehr dicken
Wälzer eines durchaus
erfolgreichen Autors
deutscher Zunge, der gern
über Liebe schreibt und
seine
Sätze so verschachtelt und
anschwellen lässt, so
überdehnt und
parenthetisch
auflädt, bis man als
selbst geübter Leser immer
wieder konstruieren muss,
will
man nicht die Orientierung
verlieren. Gleichgültig,
ob man den Roman zur Seite
legt oder bereit ist, sich
durch seine „suggestive
Sprache“ (so der
Werbejargon) in den Bann
schlagen zu lassen –
dieser Roman beansprucht
eine
Stelle im E-Fach. Der Stil
muss nicht elegant sein,
sondern eigen,
ungewöhnlich,
ja, er darf gar nicht
elegant sein, denn dann
könnte man ihm den Geruch
nach
parfümierter Wohlgestalt
nachsagen.
Nehmen wir
ein weiteres thematisches,
aber immer wieder
diskutiertes Beispiel für
den Unterschied von E und
U: Das Happy End. Wie
jeder
weiß, der in der
U-Schublade gefangen ist,
eine unabdingbare
Forderung der
Verlage. Schreiben Sie mal
einen Liebesroman, der
tragisch ausgeht! Dann
müssen
Sie die Autorität eines
Leo Tolstoi haben, oder
Sie müssen sich gleich an
die
E-Lektorate wenden. Dort
wird man genau hinschauen:
Ein offener Schluss, im
U-Bereich verpönt, wäre
vielleicht noch besser. Er
hinterlässt bei den Lesern
Fragezeichen und häufig
ein Unwohlsein, sie
wünschen sich eine
abgeschlossene
Geschichte und – seien wir
ehrlich – eine positiv
abgeschlossene: Die
unerschütterliche Liebe
findet ihre Erfüllung, der
unerschrockene Kämpfer
überwindet alle
Widerstände, und der
Verbrecher endet am
Galgen.
Allgemein
suchen wir Menschen einen
sinnhaften Schluss und
vielleicht sogar auch
Trost in einer Welt, die
meist wenig tröstlich ist
und
die schon gar zu selten
Sinn stiftet. Dem kommt
die Unterhaltungsliteratur
nach. Die E-Literatur
verweigert hier in aller
Regel die Zustimmung: Sie
will
nichts Tröstliches und
hasst den Zuckerguss.
Denken Sie an die Axt für
das
gefrorene Meer in uns.
Über
typische Unterschiede
zwischen U und E
nachzudenken
führt auf ein weites Feld.
Daher nur ein paar weitere
Stichworte: U tendiert zu
actionreicher Handlung, zu
Spannung, zu szenischer
Darstellung mit viel
Dialog,
E bevorzug die
Detailgenauigkeit, willin die Tiefe gehen
statt in die welthaltige
Breite, findet das
Ungewöhnliche und neigt zu
reflektiven Einschüben bis
hin zur Selbstreflexion
des eigenen Tuns.
Wird man
noch einen Schritt
allgemeiner, kann man G.C.
Lichtenberg zitieren, der
bereits in der zweiten
Hälfte des 18.
Jahrhunderts
konstatierte: „Was
eigentlich den
Schriftsteller für den
Menschen ausmacht,
ist, beständig zu sagen,
was der größte Teil der
Menschen denkt oder fühlt,
ohne es zu wissen. Der
mittelmäßige
Schriftsteller sagt nur,
was jeder würde
gesagt haben.“ Aber hängt
der hier angesprochene
Unterschied von
Anführungsstrichen und
Happy End ab?
Allerdings
hat sich in den letzten
Jahren und Jahrzehnten
nach der Diskussion um die
Postmoderne einiges getan,
das Unterhaltungs-Genre
ist raffinierter geworden,
die „seriöse“ Literatur
leserfreundlicher und
weniger verkopft. Zum
Beispiel finden wir das
multiperspektive und sogar
das
nichtchronologische
Erzählen, die Verwendung
verschiedener Textsorten
(früher
klare Kennzeichen für E)
in der anspruchsvollen
Genre-Literatur, so zum
Beispiel in einigen Krimis
und Thrillern. Auf der
anderen Seite schreiben
unverkennbar der
E-Literatur zugeordnete
Autoren (wie Juli Zeh in
dem
erfolgreichen Roman Unterleuten)
plötzlich sehr realistisch
und zudem so spannend, als
hätte sie gerade ein
Kapitel über Cliffhanger
und Kapitel-Übergänge aus
einem Ratgeber über das
Handwerk des Schreibens
studiert. Hinzu kommt,
dass die Treffsicherheit
und der
Reichtum ihrer Metaphorik,
die Beschreibungspräzision
der Sprache das Lesen zu
einer ungewöhnlich
lustvollen Tätigkeit
machen. Entscheidend: Die
sprachliche
Meisterschaft zeigt sich
nicht nur in Bildlichkeit
und Metaphorik, sie ist
zugleich unaufdringlich,
sie hemmt den Lesefluss
nicht, sondern reichert
die
Wahrnehmung an.
In einem
solchen Roman verbindet
sich die
welthaltig-realistische
Darstellung einer sehr
abgegrenzten Welt mit
einer
spannenden Handlung. Die
reflektierenden Passagen,
die ungewöhnliche
Beobachtungen und Gedanken
enthalten, sowie die
multiperspektivische
Struktur
vertiefen die
Figurendarstellung, ohne
die Spannungsdramaturgie
zu stören, und
die metaphorische
Treffsicherheit und
Farbigkeit verschafft den
Lesern ein in
der deutschen Literatur
nur selten anzutreffendes,
durchaus sinnliches
Vergnügen an der Sprache.
In diesem
Roman verbinden sich E und
U, in der Tat. Juli Zeh
hat sich zwischen die
beiden Stühle gesetzt, und
der Erfolg gibt ihr recht.
Ihre Leser zeigen mal
wieder, wie beschränkt und
selbstschädigend das
„Betondenken“
kaum hinterfragter Dogmen
ist, der Roman zeigt, dass
sich viele Prinzipien
unterhaltender Literatur
sehr wohl mit dem
Anspruch, der Reflexivität
und der
sprachlicher Raffinesse
der „ernsthaften“Literatur verbinden
lassen.
Ich denke,
hier liegt ein Ziel, das
wir alle anstreben
sollten: Gutes Erzählen
liegt in der Mitte
zwischen U und E und
vereint die
Stärken beider Seiten.