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Die
Tochter des Papstes
Nachwort
Als ich 1995 zum ersten Mal in der Münchner
Ausstellung Der Glanz der Farnese Tizians
Porträts von Papst Paul III. Farnese im Original
betrachten konnte, fesselten mich diese Charakterstudien
ganz ungewöhnlich; noch ahnte ich allerdings
nicht, daß mich die Person des Alessandro
Farnese so lange und intensiv beschäftigen
würde.
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Es
gibt immer wieder Momente im Leben eines Schriftstellers,
in denen er auf eine (Lebens-)Geschichte oder
auch nur auf Hinweise über eine Person
stößt und spürt: Dies ist dein
Romanstoff, dies ist eine deiner Romanfiguren.
So erging es mir, als ich auf die Biographie
des Jean Maynier d'Oppède stieß
(daraus entstand dann Die Provençalin),
so erging es mir aber auch bei der ersten, vorerst
nur visuellen Begegnung mit dem alten Papst
Paul III.: Ein gerissener Fuchs blickte mich
da an, zugleich ein gütiger alter Mann,
ein vom Leben geprüfter Philosoph, dem
zahlreiche Schicksalsschläge ins Gesicht
geschrieben standen.
Die Ambivalenzen und die Tiefe der Persönlichkeit,
die in Tizians Porträts meisterhaft eingefangen
sind, verführten mich, dem Leben dieses
Alessandro Farnese genauer nachzugehen. Als
ich auf Roberto Zapperis Untersuchungen, insbesondere
seine Studie Die vier Frauen des Papstes
stieß, arbeitete ich ihn und seinen Enkel
gleichen Namens unverzüglich in die entstehende
Provençalin ein.
Wie
so häufig, ist eine erste literarische
Bearbeitung der Anstoß zu weiterer intensiver
Beschäftigung: ein junger Mann aus adliger
Familie, zu einer geistlichen Karriere im Vatikan
bestimmt, wird aus unklaren Gründen in
die Engelsburg gesperrt, kann seinem Kerker
auf abenteuerliche Weise entfliehen, lebt dann
im Florentiner Exil im Haus des
Lorenzo de' Medici, des Prächtigen,
vervollständigt dort seine humanistischen
Studien und genießt ein rauschhaftes Leben.
Wieder
nach Rom zurückgekehrt, gelingt ihm der
kuriale Aufstieg durch den Einfluß seiner
Schwester, der Geliebten des Borgia-Papstes;
zugleich wird die Existenz seiner Familie durch
den Tod des ältesten Bruders und mehrerer
Cousins bedroht. Unversehens ist Alessandro
als welt(zu)gewandter, dem Weiblichen nicht
abgeneigter Epikureer zwar Kardinal
und damit natürlich dem Zölibat verpflichtet,
zugleich aber der letzte männliche Überlebende
einer aufstrebenden Adelsfamilie.
Raffael: Kardinal Alessandro
Farnese, der spätere Papst Paul III.
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Im
Vatikan der Renaissance nimmt man es bekannterweise
mit zahlreichen kanonischen Vorschriften
und der apostolischen Botschaft nicht
so genau, schon gar nicht mit seiner mönchischen
Auslegung: Alessandro Farnese sucht und
findet eine (anfangs noch verheiratete)
Konkubine, eine Frau fürs Leben,
muß man sagen, und läßt
sie die Mutter seiner vier Kinder werden.
Die Päpste nach Alexander VI., Alessandro
Farneses Förderer und Freunde, segnen
offiziell die Fortpflanzung als Rettung
eines Familiengeschlechts ab und legitimieren
die Söhne.
Mit der Liebesgeschichte zwischen Alessandro Farnese und Silvia Ruffini, der Mutter seiner Kinder, beschäftigt sich der Roman Die Geliebte des Papstes. Er endet mit der Geburt des ältesten Sohnes und damit mit der ersten Stufe des langfristig angelegten Lebensplans des Kardinals.
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Schon
damals hörte ich von einem Freund als spontane
Reaktion auf diesen Roman: "Jetzt wird
die Geschichte deines Helden aber erst richtig
interessant."
Diese Formulierung war überspitzt formuliert,
aber sie weist darauf hin, daß die Konflikte
und Ambivalenzen, die bereits in der Geliebten
des Papstes angelegt sind, eine Zuspitzung
erwarten lassen. Und, in der Tat, das lange
Leben dieses Kardinals und späteren Papstes,
der in Horst Fuhrmanns aktueller Papstgeschichte
Die Päpste sträflich vernachlässigt,
ja, übergangen wird, ist so bemerkenswert
und zugleich merkwürdig wie kaum ein anderes
Leben eines geistlichen Herrschers.
Ein Mann, der immer an Gott glaubt, nie an eine
Heirat denkt, kaum einer Versuchung erliegt,
der Priester, Bischof, Kardinal und schließlich
sogar Papst wird, mag die Herzen der Frommen
erfreuen und ihnen Zuversicht und Erbauung spenden,
als Romanfigur jedoch ist er langweilig.
Ein Mann voller Ehrgeiz dagegen, der an Jagd,
epikureischer Philosophie und Frauen interessiert
ist, aber nun wirklich nicht an christlicher
Religion und ihren Dogmen, der allein auf Grund
der Familientradition in den Kirchendienst eintritt
und dann trotz aller Regelverstöße
eine zielstrebige, zugleich immer wieder von
Absturz bedrohte und unterbrochene Karriere
hinlegt - ein solcher Mann ist als Romanfigur
deutlich reizvoller. Und wenn man dann auch
noch herausfindet, daß dieser areligiöse
Mensch auf der einen Seite ein Meister des Nepotismus
wird, auf der anderen Seite die katholische
Kirche vor ihrem Untergang rettet, indem er
ihre Reform in die Wege leitet und zugleich
die Gegenreformation in Gang setzt, dann sieht
man einen Romanstoff par excellence vor sich.
Aus diesem Grunde bin ich nach mehreren Romanen
wieder zu Alessandro Farnese zurückgekehrt,
um sein weiteres Leben, das Leben seiner Familie
und das Schicksal von Vatikan und Stadt Rom
in zwei Folgeromanen zu erzählen.
Papst Leo X. (rechts) mit seinem Vetter,
Kardinal Giulio de' Medici
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Die mittleren und die späten Jahre des Alessandro Farnese verschieben den Akzent weg von der boy-meets-girl-Geschichte hin zur Beschreibung einer dramatischen Familiendynamik wie einer kaum weniger dramatischen Kirchengeschichte, die sich ausweitet zu einem traurigen Tiefpunkt der europäischen Kriegshistorie. Die Jahre 1513 bis 1527 bzw. 1534 umfassen die große Zeit der römischen Renaissance, die oft mit dem Namen des Medici-Papstes Leo X. bezeichnet wird.
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In
dem Prunk und Glanz des Leo-Zeitalters
ist zugleich der Keim seines Untergangs
und Elends versteckt: Schon die letzten
Jahre Papst Leos sind überschattet
vom Krieg um Urbino, die kurze Zeit des
letzten deutschen bzw. flämischen
Papstes Hadrian ist in vielerlei Hinsicht
katastrophal. Zu steigern war die Katastrophe
gleichwohl dennoch: dreieinhalb Jahre
nach Hadrians Tod, 1527, ertrinkt der
Glanz der Renaissance in der unglaublichen
Gewalt- und Blutorgie des Sacco di
Roma.
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Belagerung
der Engelsburg während des
Sacco di Roma
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Rom ist nicht nur zerstört, der antik-heidnische
Schönheitskult ad absurdum geführt,
die Zeit reif für ein Umdenken, das in Nordeuropa
durch die Reformatoren bereits eingeleitet wurde.
Auch in Rom setzt ein metanoeite ein, wie
es im (griechischen) Neuen Testament heißt,
aber sein Weg unterscheidet sich von dem der reformatorischen
Gebiete - seine erste prägende Figur ist
der kunstverliebte, wenig fromme, aber durchaus
realistisch denkende Alessandro Farnese.
Was
mich an ihm und seinem Leben so besonders fasziniert,
ist das Mit- und Ineinander von Privatem und
Öffentlichem, von Familienleben und Zölibatsgebot,
von Nepotismus und apostolischer Rückbesinnung.
Betrachtet man das Erscheinungsbild heutiger
Päpste, die ja gerade in ihrem missionarischen
Eifer und in ihrer religiösen Reinheit
zahlreiche Menschen faszinieren, so ist das
Leben der Renaissancepäpste auf dieser
Folie kaum vorstellbar. Ganz besonders Alessandro
Farnese wurde das Haupt einer großen und
erfolgreichen Familie, und seine vatikanische
Karriere ermöglichte schließlich
die weltliche Karriere seines Sohnes sowie die
weltlichen wie geistliche Karrieren seiner Enkel
und Urenkel, die zu erblichen Herzögen,
großen Kardinälen und
erfolgreichen kaiserlichen Feldherrn aufstiegen.
Ein
anderer Aspekt des Romans besteht in dem,
was Gottfried Benn einmal "der Kriegsgeschichte
manisch-depressives Irresein" bezeichnet
hat. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts
ist, betrachtet man sie aus dem Blickwinkel
Italiens, gekennzeichnet von grotesken
Widersprüchen und Entwicklungen,
die auf der einen Seite zu einer Explosion
großer Kunst führten, auf der
anderen Seite zu blutiger Zerstörung.
Der Kampf um die Vorherrschaft in Italien
zwischen Frankreichs Königen und
den habsburgischen Kaisern führte
zu einem Kriegsballett, in dem immer vor-
und zurückgetanzt wurde, in dem kein
Sieg definitiv, keine Niederlage endgültig
war.
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Die
Schlacht von Pavia 1525
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Karl
V. |
Dieser
Aspekt kann hier nur angedeutet werden,
aber er zeigt eine Kampfarena, in der
zwei beißwütige Hunde nicht
voneinander lassen können: In erster
Linie der habsburgisch-spanische Kaiser
Karl V. und der ehrgeizige Franzosenkönig
François I. Ihr gesamtes Leben
kämpften sie um die Vorherrschaft
in Europa, und der Hauptkampfplatz war
Italien.
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François I.
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Für
mich ist interessant, daß sich diese politische
Dimension auf zwei weiteren Ebenen wiederholt:
im Vatikan und in der Familie des Alessandro
Farnese selbst.
Auch darin liegt ein Faszinosum für den
Romanautor: die große Geschichte
spiegelt sich auf der mittleren
wie auf der unteren, der privat-familiären
Ebene. Da das Leben, schon gar nicht das der
einflußreichen und mächtigen Persönlichkeiten,
nicht allein privat, aber eben auch nicht nur
öffentlich-politisch ist, verzahne ich
diese Ebenen. Und man erkennt: Selbst das privateste
Schicksal einer Liebe wird bestimmt von der
Großwetterlage der weltgeschichtlichen
Entwicklung. Dieses Thema beschäftigt mich
in meinen Roman immer wieder.
Bisher
habe ich noch überhaupt nicht die titelgebende
Figur der Costanza Farnese erwähnt, der
ältesten Tochter des Alessandro Farnese,
die, persönlich nicht einmal legitimiert,
ihr Leben lang zu ihrem Vater hielt, ihm elf
Enkel schenkte (die im übrigen
alle von ihrem nonno wohlversorgt wurden) und
ihm im Alter fürsorglich und zugleich einflußreich
zur Seite stand. Costanza war sicherlich eine
Vater-Tochter, als Älteste und einziges
Mädchen und schließlich als Stellvertreterin
der verbannten Ehefrau-Konkubine
geliebt. Zugleich stand sie, obwohl unaufhörlich
schwanger und Mutter kleiner Kinder, mitten
im Spannungsfeld der familiären Dynamik
und wurde zur Beraterin des Vaters in politisch-kirchlichen
Fragen. Diese Rolle mag gegenüber den konfliktreichen
Auseinandersetzungen der Söhne (und später
der Enkel) weniger spektakulär erscheinen,
doch sie meistert Krisen und übersteht
Ausbrüche und endet in einer historisch
vermutlich einmaligen mütterlichen
Nähe zum Papst und damit zum Stuhl Petri.
Eine Weile habe ich überlegt, den Roman
von Costanza Farnese erzählen zu lassen,
der Retterin der Familienpapiere.
Doch erwies sich dieser Ansatz für mich
als zu eng. Sie war nicht in den Konklaven von
1521/22 und 1523 anwesend, die sich bei näherem
Hinsehen als unglaublich spannende Dramen entpuppten,
welche durchaus in die Gegenwart übertragen
werden können. Im politischen Intrigen-Karussell,
das sich heute im römischen Abgeordnetenhaus
und Senat dreht, dürfte es ganz ähnlich
zugehen, und denkt man an die Regierungsbildungen
in Deutschland, so sieht man, daß zwischen
den Abläufen im vatikanischen Konklave
der Renaissance und in modernen Parteidemokratien
durchaus Parallelitäten bestehen: Stichworte
sind Machtkampf und Intrige.
Ein weiterer Grund, den Blickwinkel des Erzählens
auszuweiten und ihn auf verschiedene Akteure
zu verteilen, liegt darin, daß das Wechselspiel
der streng eingehaltenen Perspektiven eine größere
Breite der Darstellung und Vertiefung der Probleme
wie Charaktere ermöglicht. Ich wollte das
Innere von Kain und Abel zeigen, die seelischen
Regungen und Konflikte der Kurtisane und des
Kardinals, der zurücktretenden Ehefrau
wie der um ihre Rolle kämpfenden Tochter;
mich faszinierten nicht nur der Gute,
sondern auch der Intrigant und darüber
hinaus der deutsche Papst wie der deutsche Landsknecht,
die beide Rom erobern wollen und letztlich an
der Ewigen Stadt scheitern. Das Gute wie das
Böse ist nur in trivialen Darstellungen
eindeutig; sobald man sich ernsthaft für
die conditio humana interessiert, stößt
man auf Vermischungen wie Ambivalenzen. Tragik
und happy ending gehören zusammen,
Glück und Unglück, Erfolg und Niederlage,
Liebe und Haß machen in ihrer Vermischung
die Faszinationskraft eines Romans aus, auch
und gerade eines historischen Romans.
Palazzo Farnese
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Die
Recherche zu der Tochter des Papstes
hat mich erneut mehrfach nach Italien
und Rom, in den Vatikan, die Engelsburg,
an den Lago di Bolsena geführt und,
was nicht ganz einfach war, in den heutigen
Palazzo Farnese, der seit langem die französische
Botschaft beherbergt und nur mit Sondererlaubnis
zu besuchen ist.
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Ich mußte mich intensiv mit der
Kirchengeschichte dieser Zeit wie mit
der Geschichte Roms beschäftigen,
wobei auch jetzt wieder - neben Zapperis
Studien - die vielbändigen Standardwerke
von Ludwig von Pastor (zur Papstgeschichte)
und Ferdinand Gregorovius (zur Geschichte
Roms) die Grundlage bilden.
Darüber hinaus bin ich über
das Internet auf Forschungen zur Regionalgeschichte
gestoßen und zu verstreuten Informationen
über die diversen Haupt- und Nebenfiguren
des Romans.
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Leider hat nicht einmal die jüngere italienische
Forschung, soweit sie für mich erreichbar
war, Roberto Zapperis Erkenntnisse rezipiert.
Und da die Quellenlage dürftig ist, weiß
man über die jungen Jahre von Alessandro
Farneses Kindern nicht sehr viel. Insbesondere
über Ranuccio Farnese gibt es wegen seines
frühen Todes kaum Material. Mehr vorhanden
ist über Pierluigi. Costanza wird als fürsorgliche
Begleiterin des alten Papst-Vaters greifbar,
aber ihre Bedeutung wie ihr Charakterbild schwanken
sehr stark. Die Literatur zu der Kriegsgeschichte,
insbesondere zum Sacco di Roma, dem Söldnerwesen,
den politischen Ereignissen und natürlich
zum kulturellen Hintergrund Italiens ist umfangreich
und kann hier nicht aufgelistet werden.
In meinem Nachwort spreche ich über Romanfiguren
und zugleich über historische Personen
und Ereignisse, die nicht allein die Kulisse
der Geschichte bilden, sondern dem Roman seinen
Stoff, seine dramatis personae wie seine
Konfliktdynamik liefern. Bei aller fiktionalen
Notwendigkeit, den Figuren ihre emotional-psychische
Motivation, Konfliktlage und Tiefendimension
zu geben, bei aller Notwendigkeit dramaturgischer
Zuspitzung und szenischer Präsentation,
sind doch die meisten Details der Vatikangeschichte
(also z.B. der Konklaven) wie auch des Kriegszugs
der kaiserlichen Söldner wie des Sacco
di Roma ge- und nicht erfunden.
Der Konflikt zwischen Pierluigi und Ranuccio
Farnese wie zwischen Alessandro Farnese und
Giulio de' Medici ist vorgegeben, seine Ausmalung
natürlich Werk des Autors. Das Material
zu beherrschen, die fast undurchschaubaren Labyrinthe
der italienischen Geschichte in der Renaissance
so zu reduzieren, daß sie verständlich
bleiben, war eine Aufgabe, die mehr Raum als
geplant erforderte. Aber wenn die Geschichte
schon in ihrer Darstellung durch akribisch arbeitende
Historiker in sich bereits so fesselnd ist,
kann der Romanautor nicht widerstehen, ihr den
Raum einzuräumen, den sie als exemplum
des Menschlichen verdient.
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