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Die
Geliebte des Papstes
Zur
Entstehung des Romans
Der
erste Anstoß, mich mit einem Papst zu beschäftigen,
war die Begegnung mit den wunderbaren Tizian-Porträts
von Papst Paul III., wie sich Alessandro Farnese
nach seiner Wahl nannte. Auf diesen Porträts fand
ich einen alten, gerissenen Fuchs, gleichzeitig
einen gütigen, weisen Mann. Dies machte mich neugierig,
und ich ging der Geschichte dieses Papstes nach.
Dabei stieß ich auf einige Details seines Lebens,
die mich fesselten.
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Tizian: Papst Paul III. Farnese
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Da
ist zum einen die Tatsache, daß Alessandro Farnese
als junger apostolischer Scriptor wegen einer
undurchsichtigen Intrigenaffäre in die Engelsburg
gesperrt wurde, und zwar auf Befehl des damaligen
Papstes Innozenz VIII. Cibò, und dann, wie später
der berühmte Benvenuto Cellini, von dort ausgebrochen
ist.
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Die
Engelsburg in der Darstellung der Schedel'schen
Weltchronik von 1493 |
Wahrscheinlich
hat er sich mit Hilfe eines Taus oder Bettlakens
abgeseilt. Eine abenteuerliche Geschichte,
die Wagemut und Sportlichkeit voraussetzt
und die man nicht unbedingt mit einem zukünftigen
Papst verbindet.
Im Laufe meiner eingehenderen Recherche
zu Papst Paul III. stieß ich auf das Buch
von Roberto Zapperi: "Die vier Frauen des
Papstes". Durch diese Lektüre fing ich endgültig
Feuer: Ich baute ihn als Nebenfigur in "Die
Provençalin" ein und machte ihn anschließend
zum männlichen Protagonisten der "Geliebten
des Papstes".
Durch Zapperi erfuhr ich, daß Alessandro
Farnese, als Zweitgeborener nach alter Tradition
für die kirchliche Laufbahn bestimmt, sich
in erster Linie für Jagd, Philosophie und
vermutlich für Frauen interessierte und
eigentlich lieber Condottiere, also Soldat,
geworden wäre.
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Mit Religion und Kirche hatte er wenig im Sinn,
und er blieb wohl sein Leben lang ein im Grunde
areligiöser Mensch. Erst in relativ hohem Alter,
er war 51, erhielt er die höheren Weihen, die
die Voraussetzungen für ein Bischofsamt und
natürlich für das Papstamt waren. Und wie so
viele seiner Zeitgenossen huldigte er einem
schamlosen Nepotismus. Er fühlte sich verpflichtet,
seine eigene Familie nicht nur nicht aussterben
zu lassen, also Kinder in die Welt zu setzen,
was ihm von höchster kirchlicher Instanz zugestanden
wurde, er fühlte sich darüber hinaus getrieben,
seine Familie zu einer der ersten Dynastien
Italiens werden zu lassen. Einer seiner Söhne
wurde erblicher Herzog von Parma und Piacenza,
einem Lehen des Kirchenstaats, ein Enkel sollte
Papst werden, wurde jedoch nur einflußreicher
Kardinal.
Tizian:
Papst Paul III. Farnese und seine Enkel
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Alessandro
Farnese steht nicht nur für Nepotismus.
Auch die Art und Weise, wie er in frühen
Jahren Karriere machte, ist bezeichnend:
Mit Hilfe seiner Schwester, "La bella
Giulia", einer weitgerühmten Schönheit,
auf die der Borgia-Papst Alexander VI.
ein Auge geworfen hatte und die dann die
Geliebte dieses Papstes wurde, beschleunigte
Alessandro seine Karriere: Ein Jahr nach
Borgias Papstantritt wurde er Kardinal.
Man nannte ihn Kardinal gonella (= Unterrock)
oder auch, reichlich despektierlich, Kardinal
Fregnese (= Fotzese).
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Papst
Paul III. wurde für mich auch dadurch interessant,
daß dieses "Weltkind", wie ihn bereits Leopold
von Ranke nannte, trotz seines heidnischen Epikureismus
ein wichtiger Papst für die katholischer Kirche
wurde. Ohne ihn und sein Wirken gäbe es die
katholische Kirche in der heutigen Form nicht,
wenn es sie überhaupt noch gäbe. Er, der liberale
Freidenker, hielt den vorwärtsstürmenden Protestantismus
auf und legte die Grundlagen für die Gegenreformation,
indem er das Trienter Reformkonzil einberief,
er ließ die Societas Jesu (die Jesuiten) des
Ignatius von Loyola zu und unterstützte ihr
Wirken. Er führte sogar wieder die Inquisition
in Italien ein.
Dies ist eine historische Pikanterie - aber
auch typisch für geschichtliche Abläufe, in
denen sinnwidrige Zufälle und Widersprüche sich
häufen.
Ich
sollte einen weiteren Aspekt erwähnen,
der mich auf diesen Papst neugierig machte.
Im Petersdom zu Rom steht sein Grabmal,
das ursprünglich von vier weitgehend nackten
Frauen in teilweise lasziven Stellungen
eingerahmt war. Zumindest eine dieser
Frauen verkörperte eine alte Frau. Unter
einem späteren Papst wurde ein Teil der
Blößen mit einem wallenden Umhang wie
mit einem Feigenblatt bedeckt (wie ja
auch viele Körperpartien des von Papst
Paul III. in Auftrag gegebene Jüngsten
Gerichts von Michelangelo). Heute stehen
zwei dieser Frauenfiguren noch in der
Apsis von San Pietro, zwei im Palazzo
Farnese.
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Vermutlich
Darstellung der Schwester und
Mutter von Papst Paul III. Farnese,
Petersdom, Apsis
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Roberto
Zapperi hat in seiner regelrecht kriminalistischen
Untersuchung gezeigt, daß diese vier Frauen
des Papstes auf seine Mutter (Giovannella),
seine Schwester (Giulia verh. Orsini), seine
Geliebte Silvia Ruffini und seine Tochter (Costanza)
zielten - als allegorische Figuren dargestellt
(pax, prudentia, iustitia, abundantia). Das
Interessante ist, daß es Alessandro Farnese
bzw. Paul III. gelang, seine Geliebte und die
Mutter seiner Kinder weitgehend geheim zu halten.
Es wurde in Rom darüber gemunkelt, bösartige
Klatschkolumnisten erwähnten die verbotene Liebes
des Papstes immer wieder, Luther unterstellte
Paul III. in derben Worten Hurerei und sodomitische
Umtriebe (er nannte ihn "warmes Papstschwein").
Dabei lebte Paul III. - Ironie der Kirchengeschichte
- ebenso monogam wie Luther, nachdem er seine
Silvia Ruffini gefunden hatte, und schwule Neigungen
wurden seinem ältesten Sohn Pierluigi nachgesagt,
nicht ihm selbst.
Die Geschichte des jungen Kardinals Farnese
fand während der berüchtigten Borgia-Zeit statt,
also um 1500, und die Borgia-Familie spielt
auch in meinem Roman eine nicht unwichtige Rolle.
Das Material, das auf diese Weise zusammenschoß,
ist typisch für die Renaissance: lebensprall,
abenteuerlich, blutig. Die Menschen sind sexbesessen-hedonistisch
und gleichzeitig an Kunst und Schönheit interessiert.
Was mich an Silvia Ruffini interessierte, war
das Schicksal einer aufbegehrenden, sich dann
doch wieder fügenden Frau. Die Frauen der Oberschicht
des damaligen Italien waren weitgehend auf das
Haus der Eltern und später des Ehemanns beschränkt,
einige konnten sich zwar bilden, waren aber
in erster Linie dazu abgestellt, Jungen und
damit Erben auf die Welt zu bringen. Die meisten
starben dann auch nach einer der zahlreichen
Geburten oder Fehlgeburten.
Silvia
Ruffini, soviel weiß man über sie, heiratete
einen Giovanni Crispo, bekam von ihm mehrere
Kinder, die später von dem päpstlichen
Stiefvater in hohe kirchliche Stellungen
gehoben wurden (die meisten lebten als
Kardinäle in seiner engsten Umgebung).
Noch während ihrer Ehe wurde Silvia die
Geliebte des Kardinals Farnese und gebar
ihm ihr erstes Kind. Bald darauf starb
ihr Ehemann Crispo. Von diesem Zeitpunkt
ab war Silvia Kardinal Farneses geheimgehaltene
Geliebte und wurde die Mutter seiner anderen
Kinder. Als Kardinal Farnese schließlich
Papst wurde, hielt die Verbindung. Silvia
Ruffini lebte wohlversorgt in Rom und
in Bolsena. Er starb 1549, nach 15 Jahren
Pontifikat, im Alter von 81, sie 1561,
weit über 80.
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einziges Portrait der der echten Silvia
Ruffini
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Um
mich mit dem Lebensumfeld meiner Protagonisten
vertraut zu machen, recherchierte ich in Rom
und in Lazio. Ich schaute mir die Farnese-Burgen
rund um den Lago di Bolsena an, soweit man sie
besuchen kann (die Burg von Capodimonte ist
leider nicht zugänglich), war auf der Isola
Bisentina, die im Buch eine wichtige Rolle spielt,
fand in Bolsena den kleinen Palazzo des Fürsten
del Drago, in dem das einzige noch existiertende
Porträt der Silvia Ruffini sich befindet. Ich
studierte Berichte und Bilder vom damaligen
Rom und benutzte wichtige Quellensammlungen,
zum Beispiel das Tagebuch des Burchardus, des
päpstlichen Zeremonienmeisters. Borgias Tod
ist nach diesem Tagebuch geschildert. Ob allerdings
Alessandro Farnese an Borgias Sterbebett wachte,
weiß ich nicht, aber da ich den Roman alternierend
aus Alessandros und aus Silvias Sicht erzähle
und keinen allwissenden Erzähler auftreten lasse,
muß ich ihn als Erlebenden auftreten lassen.
An diesem Beispiel erkennt man, wie historische
Wahrheit im Sinne von Aussagen bestimmter Quellen
und erzählerische Phantasie Hand in Hand greifen:
Aus Gründen meiner streng perspektivischen Erzählstruktur
beschränke ich mich auf das Wissen der Personen,
aus deren Sicht ich schreibe. Sollen sie über
ein historisches Ereignis genau Bescheid wissen,
müssen sie es miterlebt haben - oder es muß
ihnen erzählt worden sein, was die weniger elegante
Lösung ist.
Ein zweites Beispiel: Wie schon erwähnt, hat
sich Alessandro Farnese aus der Engelsburg abgeseilt.
Darüber gibt es keinen Erlebnisbericht, verständlicherweise.
Es gibt aber den Bericht des Benvenuto Cellini,
der ein paar Jahrzehnte später dieses Abenteuer
erlebt hat (von Goethe bekanntlich übersetzt).
Nach diesem Bericht habe ich meine Flucht gestaltet.
Ein drittes Beispiel: Die Figur des Michelangelo,
die Entstehung der Pietà, sein Auftreten, die
erwähnten Werke, die Auftraggeber usw. sind
den Biographien des Künstlers entlehnt. Daß
allerdings Silvia Ruffini und Alessandro Farnese
die Modelle für die Maria und den toten Jesus
spielen durften, ist eher unwahrscheinlich,
aber nicht unmöglich. Ein solches Zusammentreffen
konnte ich aber gut gebrauchen für ihre persönliche
Begegnungsgeschichte.
Ein viertes Beispiel: Ich lasse die historische
Figuren des Giovanni Pico della Mirandola, des
Lorenzo de' Medici, des Cesare Borgia auftreten,
erwähne die Pazzi-Verschwörung, schildere den
Entführungsversuch des Pico, die Eroberung der
Rocca von Ravaldino und die Vergewaltigung der
Caterina Sforza (über die ich dann meinen dritten
Renaissanceroman schrieb) - alles in Zusammenhang
mit Alessandro Farnese. Dabei erfand ich an
Fakten wenig, schmückte natürlich Handlung und
Szenen aus und fingierte Alessandro Farnese
als Mitspieler.
Für die historische Kulisse bzw. das Zeitkolorit,
für den Alltag mit seinen Einzelheiten (Kleidung,
Ernährung der Neugeborenen, Technik und Krankheiten,
Kriegsführung und Jagd, Lektüre und philosophische
Fragen) recherchiere ich seit Jahren und übertrage
Details aus diversen Kontexten auf konkrete
Romanszenen bzw. -situationen. Selbst wenn ich
Handlungselemente erfinden muß, weil die Quellen
nicht viel hergeben, so kann ich doch viele
der Details, die in das Geschehen einfließen,
aus anderen Zusammenhängen übernehmen.
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