"Das
Schreiben ist zweifellos eine Symbiose von Handwerk
und Geheimnis", schrieb Wolfgang Weyrauch
einmal. Über Geheimnisse läßt
sich nur rätseln. Ein Handwerk dagegen kann
man lernen.
Selbstverständlich gehören zum Schreiben
Talent im Umgang mit der Sprache, Phantasie und
Inspiration, aber all diese Gaben reichen nicht
aus, einen guten und, wenn möglich, auch
erfolgreichen Roman zu schreiben. Eine Menge handwerklichen
Könnens ist Voraussetzung. Denn Schreiben
besteht, wie Umberto Eco und vor ihm schon viele
andere betont haben, zu zehn Prozent aus Inspiration
und zu neunzig Prozent aus Transpiration. Aus
einem Teil Geheimnis und neun Teilen Handwerk.
An Geheimnisse möchte ich nicht rühren,
aber über den Rest läßt sich reden.
Das Handwerk, von dem dieses Buch handelt, zielt
auf ein Schreiben, das Leser ansprechen und verführen
möchte. Es meint eine Literatur, die auf
unterhaltsame Weise neugierig und nachdenklich
macht, die weder Beichte noch Bildungsprüfung
ist und auch kein Glasperlenspiel. Eher ein gefühlsbetontes
Maskenspiel, bei dem weder Spaß noch Spannung,
weder Erkenntnis noch Faszination fehlen dürfen
und das auf triviale Effekthascherei, Stereotype
und Klischees verzichtet.
Entscheidend ist, daß der Schreibende lernt,
seinen Text mit den Augen eines künftigen
Lesers zu betrachten. Erst dann wird er sein Handwerk
beherrschen. Denn, so sagt uns Virginia Woolf,
"zu wissen, für wen man schreibt, heißt
zu wissen, wie man schreiben muß."
In diesem Sinne versuche ich, Voraussetzungen
und grundlegende Techniken eines Erzählens
zu vermitteln, das sich an dramatischen Geschichten
ausrichtet. Dabei geht es um die erfolgreiche
Realisierung des "fiktionalen Traums",
um szenische Mimesis und Lese-Illusion, mit anderen
Worten: um die Technik, packende Schicksale lebendig
wirkender Charaktere darzustellen. Die Geheimnisse
des experimentell-innovativen, aber dennoch lesbaren
und nicht langweiligen Erzählens können
dagegen nicht Gegenstand dieses Grundkurses sein.
Das vorliegende Buch, das sich zum Selbststudium,
aber auch als Lehr- und Arbeitsbuch für Workshops
eignet, stützt sich in erster Linie auf Autorinnen
und Autoren des amerikanischen "creative
writing", die, selbst Schriftsteller(innen),
aus ihrer Werkstatt plaudern und die Regeln des
Handwerks weiterzugeben versuchen. Darüber
hinaus sind vielfältige Äußerungen
europäischer Autoren zu dem Wie, Warum und
Wozu ihres Metiers in meine Überlegungen
eingeflossen und nicht zuletzt eigene Erfahrungen.
Selbstverständlich bin ich mir bewußt,
daß alle Ratschläge nur Vorschläge
sein können, Hinweise und hilfreiche Tips,
Wegweiser und Ge(h)hilfen, keine Bedienungsanleitungen
oder Rezepte, die einen Erfolg garantieren.
Ansprechen möchte ich alle, die gern schreiben
wollen und nicht recht wissen, wie sie es anstellen
sollen; außerdem diejenigen, die zu schreiben
begonnen haben und handwerkliche Hilfe benötigen.
Aber auch selbstkritische Profis, die ihre Texte
immer wieder neu auf Schwachpunkte und Wirksamkeit
überprüfen. Nicht zuletzt wende ich
mich an Lehrende und Lernende in Schule und Universität,
kurzum, an alle, die sich eine Übersicht
darüber verschaffen wollen, nach welchen
Regeln erzählende Literatur funktioniert
und unter welchen Bedingungen sie "gemacht"
wird.
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