Ich
bin nicht Stiller! - so sagt der Protagonist gleich
zu Beginn von Max Frischs Roman. Er möchte
White sein, ein anderer, dem nicht das Bildnis,
das die anderen ihm andichten, wie ein Schatten
folgt. Ich bin nicht Stiller! stellt aber auch
der Autor am Ende eines kreativen Prozesses fest.
Er hat sich gehäutet wie eine Schlange und
hinterläßt dem Leser seine Haut, auf
daß dieser in sie hineinschlüpfen möge.
Auch der Leser glaubt nicht Stiller zu sein und,
läßt er sich auf die Lektüre ein,
ist es dann doch. Am Ende dieses Spiels mit Identifikation
und Distanzierung kann er wieder aus der fremden
Haut schlüpfen und sich fragen, wer er war
und wer der andere.
Der Interpret versucht die kommunikativen Muster,
die in der Form des Romans eingefroren sind, aufzuschlüsseln.
Auch er muß das Negations-Spiel der Selbstsuche
mit sich spielen lassen, will er es erkunden,
verstehen und erläutern.
Ich habe mich seit meiner Jugend mit Max Frischs
Roman beschäftigt, aber auch, in immer neuen
Anläufen, mit Psychoanalyse auseinandergesetzt,
in Theorie, als Lesender, und in Praxis, als Analysand.
Und seit meiner Jugend versuche ich auch zu schreiben,
Phantasien in Fiktionen umzuwandeln.
Eines Tages begann ich, diese Tätigkeiten
miteinander in Beziehung zu setzen: die Psychoanalyse,
die Beschäftigung mit Max Frischs Stiller
und das Handwerk des Schreibens, die "Form".
Mir erschien es fruchtbar, die Psychoanalyse als
Erkenntnisinstrument zu verwenden, und zwar nicht
nur für literarisierte Phantasie, sondern
vor allem für die Bedingungen, unter denen
Phantasien zu Literatur werden.
...
Literatur ist Kommunikation, Interpretation von
Literatur nicht minder: Nach einem Gespräch
mit einem Autor über dessen Werk, über
sein Wie und Warum, wendet sie sich an Leser.
Sie soll erkenntnisfördernd sein, aber auch
lustvoll, methodisch sauber, theoretisch fundiert.
Mein Gesprächsangebot soll nicht nur lesbar
sein für diejenigen, die die psychoanalytischen
Wege zur Literatur begehbar finden, sondern auch
für diejenigen, die der Psychoanalyse eher
kritisch gegenüberstehen. Aus diesem Grunde
habe ich versucht, den Deutungsprozeß möglichst
durchsichtig zu halten und nachvollziehbar darzustellen.
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