Dafür hatte
der französische König in Ruhe seine Ritter und
Söldner sammeln können und zog nun nach Süden,
seinem ehemaligen Konnetabel entgegen, dessen
Männer immer mehr den Mut verloren. Zudem näherte
sich der Winter, und im Winter ließ man für gewöhnlich
den Krieg ruhen. Im Winter litten die Soldaten
unter Regen und Kälte, Krankheiten breiteten sich
aus, es gab weniger zu essen, viele Wege waren
aufgeweicht, die Wagen kamen kaum voran, auch
nicht die Kanonen, das Pulver wurde naß, und die
Pferde blieben im Morast stecken. Im Winter schlug
man besser keine Schlachten.
François rückte heran, und Charles de Bourbon
mußte mit seinem Heer wieder nach Italien zurückweichen.
Der König erschien in Aix und forderte auch die
Ritter der Provence auf, ihm Waffendienst zu leisten.
Jean Maynier und Raymond, froh über die Entwicklung
der Dinge, schlossen sich ihm an, und noch im
Herbst wälzte sich das französische Heer über
den Montgenèvre nach Italien.
Die kaiserliche Armee war geschwächt. Ein Drittel
ihrer Soldaten hatte sich davongemacht. Bourbon
gab das schlecht befestigte Mailand kampflos auf.
Der König triumphierte. Jean Maynier und Raymond
lachten, wenn sie sich begegneten: Ihre Entscheidung
war richtig gewesen. Ein zweites Marignano winkte,
und diesmal waren beide dabei. Der Feind hatte
sich nach Pavia und Lodi zurückgezogen und dort
verschanzt. Bourbon eilte nach Deutschland, um
Söldner anzuwerben, jetzt blieben nur noch die
spanischen Befehlshaber mit den Resten entmutigter
Söldnerhaufen.
François hatte die Frauen in Frankreich zurückgelassen,
und sofort, das sah man, gewann er die Siegesgewißheit
eines Cäsars zurück. Der Bezwinger der Helvetier
befehligte diesmal seine einstigen Gegner, und
hinter ihm standen zudem Tausende von schwer gerüsteten
Rittern, die Spitze des französischen Adels. Sie
kämpften nicht um Golddukaten und Beute, sondern
um Ehre, um die Krönung eines edlen Lebens, um
den Ruhm ihres Herrsches und die Größe Frankreichs.
Ihre geballte Streitmacht würde die kaiserliche
Armee erneut schlagen, nein, nicht nur schlagen
-: zermalmen, und Mailand würde für immer französisch
sein.
Die Franzosen kümmerten sich nicht um Lodi, wohin
sich die Hauptmacht der Gegner zurückgezogen hatte,
sondern begannen, Pavia zu belagern und zu beschießen.
Nach drei Tagen war die Bresche so groß, daß man
einen Angriff wagte. Doch die Verteidiger der
Stadt hatten ein zweites Bollwerk gezogen und
schlugen die Franzosen zurück.
"Gut", sagte der König, "dann hungern wir sie
eben aus."
Er war sich seiner Sache sicher, und Jean Maynier
wie Raymond, immer in seiner Nähe, vertrauten
ihm. Der König wagte sogar, einen Teil seiner
Armee nach Neapel zu schicken, um so den Feind
abzulenken und schließlich ganz Italien zu erobern.
Noch blieben genug Soldaten, um Pavia zu erobern,
sich danach Lodi vorzunehmen und den Kaiserlichen
mitsamt ihren Verbündeten eine Lehre zu erteilen,
die sie nie vergessen würden. Was machte es schon,
daß Bourbon, schneller als erwartet, aus Deutschland
zurückkehrte und mit fünfzehntausend mit Fuggergeld
bezahlten Landsknechten, die Ritter nicht gerechnet,
in Lodi einrückte? Stand nicht François noch immer
an der Spitze einer Armee, in der sich die besten
Soldaten versammelt hatten? Brannten nicht die
edelsten Ritter Frankreichs darauf, endlich ihre
in vielen Turnieren und Kampfspielen erprobte
Stärke anwenden zu können?
Die
heftigen Regenfälle des Winters setzten ein. Der
Ticino schwoll an und wurde unpassierbar, Pavia
konnte zu dieser Jahreszeit nicht mehr erobert
werden.
Gut, dann überließ man die Verteidiger der Kälte,
dem Hunger und den Seuchen. Der König war wohlversorgt
und konnte warten. Er hatte sich mit seinem Heer
im Park Mirabello eingerichtet, der Pavia nordöstlich
begrenzte, umgeben und geschützt von einer hohen
Mauer, dreißigtausend Mann mit einem Troß aus
vierzigtausend Menschen, eine Zeltstadt gegenüber
der Steinstadt, - in der man schon Hunde aß und
Dachstühle als Brennmaterial benützte. Der Belagerungsring
war weitgehend dicht, die Kaiserlichen aus Lodi
wagten keinen Angriff, sondern scharmützelten
nur. Es konnte nur eine Frage von Tagen sein,
daß sich jetzt, Ende Februar, die Garnison von
Pavia ergab und anschließend der Sieg in einer
Entscheidungsschlacht erzwungen wurde.
Raymond hatte sich in dem feucht-nebligen Wetter
einen hartnäckigen Husten geholt, mit einem leichten
Fieber, er fühlte sich geschwächt und begann,
erste Zweifel an der Taktik des Königs zu äußern.
Jean Maynier, der trotz des elenden Wetters gesund
geblieben war und täglich Lanzenstechen, Schwertkampf
und Bogenschießen trainierte, widersprach ihm.
Sollte man unnötig Blut vergießen?
"Denk an Marignano! Alle haben sie François den
Untergang vorausgesagt, und was geschah? Ein Sieg
wie bei Issos. Und jetzt folgt Gaugamela!"
"Aber selbst Alexander unterlag dem Fieber, und
wenn der Frühling nicht bald kommt, werden mir
die Kräfte schwinden." Wie zur Bestätigung seiner
Worte nahm ihm ein Hustenanfall die Luft, und
er mußte sich niederlegen. "Täglich sterben mehr
Soldaten an Krankheiten, und die Stimmung ist
schlecht."
"Die Stimmung ist gut. Wir Ritter fiebern dem
Kampf entgegen. Den Kaiserlichen dagegen laufen
die Söldner weg, und wenn die Garnison in Pavia
erst alle Hunde und Katzen aufgefressen hat, wird
sie sich ergeben."
Als Raymond erneut von Husten und Atemnot geschüttelt
wurde, zog sich Jean Maynier in sein Zelt zurück,
inspizierte noch einmal seine Waffen, betrachtete
mit Stolz nicht nur seinen Kampfharnisch, sondern
auch noch den Prunkharnisch des Cesare Borgia,
den er nicht gescheut hatte mitzunehmen. Er gab
schließlich seinen Kampfrössern eigenhändig Hafer
und ermahnte seine Begleiter, sich allzeit bereit
zu halten.
Unwirsches Grunzen war die Antwort.
Die
Nacht war schwarz, kein Stern zu sehen, kein Mond,
der das Lager hätte beleuchten können. Nur zunehmender
Nebel, kriechende Feuchtigkeit über dem schlammigen
Boden, ermüdende Kälte. Jean Maynier hatte sich
schlafen gelegt, wachte aber plötzlich auf, ohne
zu wissen, wovon. Draußen hörte er einen seltsamen
Lärm, dumpfe Schläge, halb vom Nebel verschluckt.
Er trat vor sein Zelt und weckte seine Soldaten.
Er begegnete anderen Rittern, die mit ihren Fackeln
ganz plötzlich aus der schwarzgrauen Suppe auftauchten
und ebenso schnell wieder verschwanden. Auch der
König sei aufgewacht, hörte er, aber niemand wisse,
was eigentlich geschehe. Vielleicht hätten die
Kaiserlichen irgendwo einen Spähtrupp vorgeschickt
oder mit den Schweizern, die außerhalb des Parks
lagerten, ein Scharmützel begonnen. Das Übliche
wahrscheinlich. Ablenkungsmanöver.
Trotzdem wurde ein Aufklärungstrupp losgeschickt.
Aber die Nacht blieb undurchdringlich. Nur der
Lärm außerhalb der Mauern nahm zu, er kam jetzt
von allen Seiten. Unmöglich, daß die Kaiserlichen
unter diesen Bedingungen angriffen, zudem noch
in der Nacht. Trotzdem wurden die Männer nervöser,
an Schlaf war nicht mehr zu denken, und wer noch
bei einer Hure lag, mußte fluchend abbrechen und
seine Kleider und Waffen suchen.
"Der König legt die Rüstung an, der König läßt
satteln", hörte Jean Maynier rufen. Er rannte
in Raymonds Zelt. Auch Raymond war aufgewacht
und saß auf seiner Pritsche, von fiebrigem Frost
geschüttelt.
"Laß dir die Rüstung anlegen, draußen tut sich
etwas."
Raymond starrte mißmutig auf den Boden. "Was tut
sich?"
"Hörst du denn nichts?"
"Natürlich höre ich den Lärm. Aber sind wir nicht
umgeben von einer starken Mauer? Und wollen die
Kaiserlichen in der Nacht kämpfen? Wenn der Tag
anbricht, werden wir sehen, was sie vorhaben!"
Jean Maynier stürzte wütend aus dem Zelt. Nun
überall Fackeln, herumirrende Soldaten, Pferde.
Dazwischen Helfer, Knappen, halbnackte Frauen
und allerlei zwielichtiges Gesindel. Geschrei
der Troßleute. Befehle. Nervöses Wiehern. Rüstungen
wurden angelegt. Jean Maynier fand seine Soldaten.
Die Bogenschützen hatten den Brustpanzer schon
umgeschnallt, die Schwerter und Messer waren gegürtet.
Auch war eins seiner beiden Kampfpferde gesattelt
und trug seinen Schutzpanzer. Jean Maynier war
zufrieden und redete dem Pferd beruhigend zu.
Er konnte kaum die Gesichter seiner Männer erkennen,
aber sie schienen voller Tatendurst zu sein. Auch
ihm wurde nun sein neuer Kampfharnisch angelegt,
und schließlich hob man ihn auf sein Pferd.
Noch immer war die Nacht nicht zuende, der Lärm,
der über die Mauer schallte, hatte sogar zugenommen,
aber niemand wußte, was eigentlich geschah, geschehen
sollte. Befehle wurden gebrüllt, Fluchen, aufgeregtes
Geschrei. Manche stopften sich ein Stück Brot
in den Mund, schütteten Wasser oder Wein hinterher.
Viele hockten sich um die Lagerfeuer, um ihre
Knochen noch ein wenig zu wärmen.
Und was tat der König?
Jean Maynier wartete. Er fühlte die Kälte und
die Feuchtigkeit nicht, er fühlte die Kraft seiner
Arme, die Klarheit seines Kopfes, er wußte, er
würde kämpfen, kämpfen und siegen. Einer seiner
Leute, der junge Holzfäller, der dem gegnerischen
Ritter den Hals durchschneiden sollte, prüfte
die Schärfe seiner Klinge. Außerdem trug er als
Waffe ein Beil.
"Am besten unter dem Kehlstück durch, und kein
Erbarmen", rief Jean Maynier, "die Burschen sollen
dich decken, wenn du den Panzer knackst."
Die beiden Burschen zitterten vor Angst.
"Haltet mir auf jeden Fall den Rücken frei und
warnt mich, falls mich im Getümmel einer von hinten
vom Pferd stoßen will. Achtet darauf, daß die
Hellebardiere nicht dem Pferd die Sehnen durchschneiden
und mich dann vom Sattel reißen. Und falls ich
wirklich fallen sollte, sofort aufrichten! Auf
die Messer achten! Der Gegner will mir ebenfalls
an den Hals. Schnell sein! Nie zögern, immer zuerst
stechen. Oben bleiben! Wer niedergetrampelt wird,
hat keine Chance mehr. Und haltet Kontakt miteinander!
Wir werden siegen, wir werden siegen." Seine Stimme
wurde heiser.
"Wir können noch eine Runde würfeln, bevor es
losgeht", sagte einer der Bogenschützen, "halte
mal die Fackel, damit wir etwas sehen."
"Ich glaube, es wird hell", rief der ältere Bursche,
der noch einmal den Harnisch des Pferdes prüfte,
mit klappernden Zähnen.
"Dieser verdammte Nebel. Man wird nichts sehen."
Plötzlich zwei Kanonenschüsse.
"Jetzt wird es ernst!"
"O Herr, Maria, steht mir bei."
"Wo ist denn diese gottverfluchte Bande!"
"Wenn man wenigstens etwas erkennen würde!"
"Ich seh was!"
"Wahrscheinlich deine Mutter beim Scheißen!"
"Da bewegt sich jemand!"
"Ruhe, Ruhe, vielleicht kann man was hören!"
Inzwischen
hatte sich das Durcheinander etwas gelegt, die
französischen Kräfte sammelten sich. Der König
stand mit der schweren Kavallerie bereit. Der
Aufklärungstrupp aus leichter Kavallerie und Schweizern
marschierte voran, noch immer, um zu erkunden,
ob der Feind eine Bresche in die Mauer geschlagen
habe und nun einzudringen versuche. Die Pikenkarrees
der Landsknechte nahmen Formation an. Auch die
leichte Reiterei, die Bogenschützen und die Arkebusenschützen
formierten sich.
Unglücklicherweise campierte die Hauptmacht der
Schweizer außerhalb der Mauern, aber sie waren
schon benachrichtigt: Sie sollten verhindern,
daß sich die Soldaten der Stadtgarnison mit denen
des kaiserlichen Heeres vereinigten.
Langsam lichtete sich der Nebel, und plötzlich
hörte man einen Schrei, der sich vertausendfachte.
Dort vorne, am Rand eines Wäldchens, schlich der
Feind entlang. Er hatte tatsächlich eine Bresche
in die Mauer geschlagen und versuchte nun, durch
den Park hindurch zur Garnison zu gelangen. Der
Feind versuchte, den Kampf mitten in das französische
Lager zu tragen.
Den sollte er haben!
Der Aufklärungstrupp attackierte die in einer
langen Kette hinschleichenden Kaiserlichen. Es
waren spanische Arkebusenschützen und deutsche
Landsknechte, vielleicht dreitausend Mann. Die
leichte Kavallerie stürmte vor, die Schweizer
mit gesenkten Spießen hinterher. Die ersten Schüsse
fielen. Die Landsknechte suchten sich zu formieren,
aber die französische Attacke war wirksam. Die
Eindringlinge flohen nach Westen, dorthin, wo
zwanzig französische Belagerungskanonen im Schlamm
steckengeblieben waren.
"Ha! Jetzt rennen sie in ihr Verderben!"
Und tatsächlich begann die Artillerie zu schießen.
Ja, die Kanoniere hatten die Lage schnell begriffen,
die Eindringlinge wurden in die Zange genommen,
da mochten die spanischen Hakenbüchsen so knallen,
wie sie wollten, da mochten noch weitere Einheiten
durch die Bresche eindringen, die Igelrücken der
gegnerischen Schweizer sich senken, es half nichts,
die Verwirrung bei den Kaiserlichen wurde immer
stärker, man sah sie durcheinander laufen, kopflos
fliehen.
Jean Maynier saß mit aufgeklapptem Visier auf
seinem Pferd, neben sich seine Männer, ganz in
der Nähe der König, der ebenfalls voller Begeisterung
beobachtete, wie die Kanonen ihr Werk taten und
das Chaos unter den Feinden zunahm. Arme und Köpfe
flogen durch die Luft, die Splitter rissen ganze
Gruppen zu Boden. Aber die spanischen Arkebusen
trafen auch französische Pferde. Spieße sanken
zu Boden, ohne daß sie den Feind erreichen konnten,
Spieße des Königs, nicht des Kaisers. Schweizer
kämpften gegen Schweizer, Landsknechte gegen Landsknechte,
man konnte nur an kleinen Aufnähern über dem Herzen
erkennen, wer Feind war und wer zur eigenen Truppe
gehörte, man mußte sich durch Rufen zu erkennen
geben.
"Soll das eine richtige Schlacht sein?" rief der
König in die Runde. "Das ist doch keine Schlacht,
das ist ein Kampfgeplänkel! Die kaiserlichen Pißpötte
wollten nur unseren Nachtschlaf stören."
Lautes Gelächter folgte.
"Bourbon wollte besonders raffiniert sein und
uns überraschen, aber die Mauer hat ihn zu lange
aufgehalten, und jetzt rennen seine Männer in
ihr Verderben."
"Es lebe König François!" rief Jean Maynier, "Pavia
wird fallen, Lodi wird fallen, ganz Italien wird
Frankreich gehören."
François hob lässig seinen linken Arm.
"Wir brauchen nur zuzusehen, wie die Kanonen sie
in Stücke reißen", sagte einer der Ritter an der
Seite des Königs, "wozu stehen wir hier eigentlich?"
Der König unter seinem riesigen Federbusch drehte
sich mit knirschendem Eisen um, starrte den Ritter
an, seine Augen funkelten. "Du hast recht. Sollen
wir nur wie die Gaffer glotzen?" rief er seinen
Rittern zu.
"Nein!" schallte es ihm entgegen.
"Wir greifen an", rief er, "die Kavallerie mit
voller Macht voran, die Infanterie folgt im Schritt."
"Nur im Schritt?"
"Sie wird nichts mehr zu tun haben ... Meine Ritter
-" Er hob den Arm mit seiner Lanze - "jetzt wird
die Welt erleben, daß den französischen Ritter
nichts aufhalten kann. Blast zum Angriff!"
Die Visiere wurden heruntergeklappt, Lanzen fest
gepackt, die Zügel gelockert, die Sporen gegeben.
Ein tausendfacher Schrei übertönte das dumpfe
Donnern der Kanonen. Zuerst langsam, dann immer
schneller setzten sich die stählernen Kampfrösser
in Bewegung. Jean Maynier hörte noch einmal "Maria,
steh uns bei!", dann fielen seine fünf Helfer
zurück.
Vor ihm nur noch die stampfenden Pferde, die blitzende
Eisenfront, gespickt mit Lanzen, der König voran,
aber dicht neben und hinter ihm seine engsten
Freunde, die Herzöge Frankreichs, direkt hinter
ihm auch er, Jean Maynier, der Baron von Oppède,
der Sohn des päpstlichen Legaten, er ritt mit
seinem König in den Kampf, er ritt dem Ruhm entgegen.
Immer schneller bewegte sich die waffenstarrende
Masse auf den Feind zu, der sich vor den Kanonenkugeln
zu retten versuchte und sich nun der Eisenwalze
der Kavallerie gegenüber sah.
Der König hatte in den Kampf eingegriffen. Der
König war dem Feind entgegengeritten, dorthin,
wo die Artillerie schwere Verwüstungen angerichtet
hatte. Nun mußten die französischen Kanonen schweigen,
sonst hätten sie den König getroffen. Der König
wollte keinen Sieg ohne eigenen Anteil, ohne daß
er selbst den Ruhm ernten konnte, der ihm gebührte.
Der König wollte kämpfen.
Er wollte aber nicht nur kämpfen und siegen, er
wollte den Feind vernichten. Als die Kaiserlichen
begriffen, daß es nicht nur um Sieg oder Niederlage
ging, sondern um Sieg oder Vernichtung, standen
sie wieder, versuchten sich zu sammeln und Widerstand
zu leisten.
Jean
Maynier sieht durch die Schlitze seines Visiers
das bewehrte Halsstück seines Pferdes. Kaum ragen
die eisernen Ohren heraus. Die Lanze ist starr
nach vorne gerichtet, er hält sie ruhig und kann
sie gegen jeden Gegner richten. Neben ihm der
stählerne Glanz einer anderen Rüstung. Er versucht,
nach rechts zu schielen. Dort reitet der König,
ein Hüne auf seinem Pferd, jeder muß ihn an seiner
Größe erkennen und an seinem herrschaftlichen
Federbusch. Vor ihnen nun die ersten Gegner, da
zielt einer mit seiner Arkebuse auf sie, Spieße
werden gegen die Pferde gerichtet, aber schon
sind sie heran, schon wälzt die stählerne Front
alles nieder, der König fegt einen gegnerischen
Hauptmann vom Pferd, und Jean Mayniers Lanze rammt
sich in die Brust eines Armbrustschützen, durchstößt
sie wie ein dünnes Brett, und der zu Boden stürzende
Körper reißt ihm die Lanze aus der Hand. Er zieht
das Schwert aus der Scheide, die Pferde zerstampfen
alles, was unten liegt, Todesschreie, wildes Wiehern,
klirrende Eisen und spritzendes Blut.
Aber nun verlangsamt sich die Todeswalze. Kaum
noch kämpfende Gegner zu sehen. Jean Maynier merkt,
daß sein Pferd zu stolpern beginnt. Er reißt das
Visier hoch, um die Lage zu erkunden.
Sie haben den Feind zerschmettert, der Sieg ist
total. Es war noch nicht einmal ein richtiger
Kampf. Aber die Pferde waten im Morast. Vor ihnen
das Ufer eines Flüßchens, kein Weiterkommen. Mühsam
wenden die Ritter ihre Rösser, versuchen, ein
Wort des Königs zu vernehmen. Die Infanterie ist
weit zurückgefallen.
"Jetzt bin ich wirklich der Herzog von Mailand!"
ruft François, der König von Frankreich. Auch
er hat sein Visier hochgeklappt. Der Marschall
von Foix neben ihm ruft: "Nein, Sire, Ihr seid
der Herrscher von ganz Italien. Der Kaiser ist
geschlagen!"
Jean Maynier reckt seinen Arm in die Luft, reckt
das Schwert in den noch immer grauen, nebelverhangenen
Himmel. "Der Kaiser ist geschlagen", wiederholt
er, und der König schaut herüber zu ihm, er muß
ihn erkennen, er muß sich an das Turnier von Lourmarin
erinnern, jetzt stehen sie Seite an Seite, Jean
Maynier weiß, daß diese Schlacht in die Geschichte
eingehen wird, nach Marignano Pavia, alles Zögern
hat ein Ende, alle Fehlentscheidungen sind vergessen,
die Weiberwirtschaft, François hat sein Gaugamela
geschlagen und ein Weltreich erobert.
Die Pferde sinken immer tiefer in den Morast und
können sich kaum noch bewegen. Jean Maynier sucht
unter den fernen Infanteristen seine fünf Soldaten
auszumachen, aber keiner hat schritthalten können,
noch nicht einmal die jungen Burschen und der
Holzfäller. Langsam versuchen sich die Pferde
aus dem Morast zu befreien und zurückzustapfen.
Jean Maynier schaut sich um, ob er Raymond finden
kann. Hat er ihn nicht in den hinteren Reihen
gesehen? Oder hat er die Wappen verwechselt? Raymond
ist nirgendwo zu sehen. Sollte er vom Pferd gerissen
sein, sollte er in seiner fiebrigen Schwäche gar
getötet worden sein?
"Raymond!" brüllt Jean Maynier, aber kein Raymond
antwortet ihm.
"Wir reiten zurück, der Infanterie entgegen",
ruft der König, "der Kampf ist vorbei."
In
diesem Augenblick strömt den Rittern eine unübersehbare
Soldatenschar entgegen.
"Was ist denn das?" Der König starrt verwundert
nach vorne, auch Jean Maynier will es nicht glauben.
Ist es die eigene Infanterie? Nein, die stolpert
über den von Pferdehufen zerwühlten Boden und
wird, wie er jetzt sehen kann, von deutschen Landsknechten
in die Zange genommen. Der Schwarze Haufen, der
berühmte Schwarze Haufen, der früher gegen Frankreich
kämpfte, sich jetzt aber für Frankreich schlägt,
Jean Maynier kann ihn genau erkennen, wird von
zwei Seiten bedrängt. Und da stürzt schon die
leichte Kavallerie der Kaiserlichen auf die Schweizer
unter Fleuranges zu, die nun nicht mehr dem Schwarzen
Haufen helfen können und auch ihnen, den Rittern,
nicht mehr. Wo ist die eigene leichte Reiterei
geblieben?
Jean Maynier erstarrt. Er kann nicht glauben,
was er sieht. Vor lauter Entsetzen läßt er sein
Visier oben. Er hat keine Lanze mehr, und vor
ihnen richten tausend Arkebusen ihre Rohre auf
sie, der König schreit, und schon übertönt das
scharfe Knallen der Büchsen die Rufe und Befehle,
Pulverdampf, ein Aufschrei unter den Rittern,
wildes Wiehern und Aufbäumen der Pferde, es stürzen
die schweren Rüstungen klirrend zu Boden, heftig
schlagen die Hufe um sich, wer unter sein Pferd
gerät, ist schon verloren, er wird zerquetscht.
Jean Maynier sitzt noch im Sattel, er wurde nicht
getroffen, er gibt seinem Pferd die Sporen, nur
raus hier, nur weg! Auch der König sitzt noch,
der König ist das beste Angriffsziel, sein Helm
ragt über die anderen Helme. Jetzt stürzen sich
die Spanier auf sie, und wieder schlägt eine Salve
ein, ohne daß sie sich wehren können, die Kugeln
durchschlagen die Panzer, wieder stürzen Pferde
und Reiter. Der Rest kommt nicht vom Fleck. Es
nützt nichts. Nur ein paar Schritte voran, und
schon sinkt man noch tiefer ein. Hilflos um sich
schlagend steht die eisenglänzende Wehr der tapfersten
Ritter Frankreichs, in ihrer Mitte der König,
die Lanzen gerichtet, die Schwerter in der Hand.
Eine dritte Salve, und nun sind die Spanier heran.
Wer vom Pferd stürzt, hat schon das Messer in
der Kehle, oder die Arkebuse wird direkt an die
Eisenschiene über der Hüfte angesetzt, der Schuß
zerreißt den ganzen Unterleib. Wild treten die
Pferde um sich, doch auch sie erledigt ein Schuß.
Kein Panzer hilft, kein Kettenhemd und keine Tapferkeit.
Jean Maynier schlägt mit dem Schwert einem Spanier
die Hand ab und spaltet ihm dann den Schädel.
Die Pferde waten im Blut, sie treten auf die Toten,
auf die Rüstungen. Tausend Spanier gegen fünfzig
Ritter, die noch kämpfen können. Das Gedränge
und Getümmel ist jetzt so dicht, daß die spanischen
Arkebusen vor allem die eigenen Leute treffen,
jeder will die gefallenen Ritter ausrauben, die
Rüstungen mitschleppen, jeder will natürlich auch
den König töten oder zumindest ein Stück seiner
Rüstung an sich reißen, als Trophäe.
Besinnungslos schlägt Jean Maynier um sich. Sein
Pferd ist verwundet, aber es kann sich noch bewegen
und gehorcht ihm. Er kämpft sich an den König
heran, der sein Schwert, trotz der schweren Rüstung,
unglaublich schnell bewegt und die Spanier, die
ihn vom Pferd reißen wollen, auf Abstand hält.
Jetzt zielen sie auf den Kopf seines Pferdes,
es bricht zusammen, Lanzen stechen auf den König
ein, gleiten aber an der Rüstung ab, Messer blitzen,
das Gewühle wird immer wilder, in seinem Todeskampf
schlägt das Pferd des Königs mit allen Vieren
um sich und zerschmettert zwei Angreifern die
Knochen.
Wie ein Schwarm Aasgeier stürzen sich die Spanier
nun auf den König, Jean Maynier reitet hinein,
und es gelingt ihm, einen Rücken zu durchbohren,
einen Kopf mit einem einzigen Schlag vom Rumpf
zu trennen. Er hört den König rufen, um Hilfe
schreien, er sieht noch einen der spanischen Hauptleute
heranreiten, Lannoy muß es sein, und nun zerdehnt
sich die Zeit, das Geschehen zerfällt, der Spanier
brüllt seine Leute zurück, erfolglos, er läßt
auf seine eigenen Leute schießen, er will den
König lebend haben, er will ihn befreien, Jean
Maynier wird plötzlich nach hinten gezogen, sein
Pferd versucht sich aufzubäumen und sackt zusammen,
er sieht das schwarze Loch einer Arkebuse auf
sich gerichtet, wo ist sein Schwert, sein Blick
reißt ins Graue des Himmels, fünf schreiende Gesichter,
fünf aufgerissene Augenpaare, blutige Lippen über
ihm, ein Messer gleitet neben dem Auge am Helm
ab, noch immer knattern Schüsse, und ein blitzender
Schmerz setzt seinem Bewußtsein ein Ende.
Der
Himmel in einem milchigen Sonnenlicht.
Dann wieder undurchsichtig, schwarz, nichts mehr,
ein Gleiten, ein Hinübergleiten und Bilder aus
dem Luberon, sein Vater, von der Pest entstellt,
die Mutter schon tot. Geräusche dringen an sein
Ohr, spanische Laute, gurgelndes Röcheln. Wieder
die milchige Scheibe der Sonne.
"O Gott, wo bin ich", versucht er zu formulieren,
die Lippen bewegen sich, aber kein Laut läßt sich
vernehmen, süßlicher Geschmack im Mund, warm noch
neben ihm das Pferd, aus dem ein Blutstrahl sich
über ihn ergießt, ja, er kann sich bewegen, er
lebt, er lebt, "O Gott, verlaß mich nicht!"
Er kann flüstern. Dann wieder Schwärze. Und wieder
die Sonne. Der Schmerz erst, als ein Plünderer
auf ihn trampelt und ihm den Beinschutz ausziehen
will. Er rührt sich nicht. Dann wieder ein Gleiten,
ein Abgleiten, ein schmerzloses Hochschwingen,
als würde die Seele den Körper verlassen und hinabschauen
auf das Gemetzel, auf diese Blutkaskaden, die
abgeschlagenen Glieder, abgetrennten Köpfe, auf
die Gedärme, die den Pferden aus dem Leib gequollen
sind.
War das ein Sieg? War das ein Hinterhalt? Wo kamen
sie alle her? Hakenbüchsen gegen gepanzerte Ritter!
Wie feige, wie unendlich feige! Ein elendes Sterben,
unehrenhaft, ruhmlos, aus der Ferne vom Pferd
geschossen.
Noch immer die milchige Sonne. Ein helles Leinentuch
über dem Himmel, ein Leichentuch, durchstoßen
von Schreien, von dem tierischen Gebrüll der tödlich
Verletzten. Er weiß nicht mehr, wo er ist, ob
er noch lebt, ob er Schmerzen verspürt oder nicht,
was zu ihm gehört, was sein Blut ist und was das
Blut seines Pferdes, ihn überschwemmen Bilder,
er sieht Anne am Fenster stehen, sehnsüchtig hinausschauen,
ihren weichen, runden Bauch, er sieht Madeleine
am Weiher, den weißen Diana-Körper, die Kinder,
Hand in Hand, Beatrice und Pierre, seinen Sohn,
seinen einzigen Sohn, den Sohn, der nun ein Waise
wird, ein Waise, wie er selbst, ein verlorenes
Kind, der Vater in der Schlacht gefallen, der
König gefallen, Gott hat sie in die Irre geführt
und verlassen - und wieder nur milchiges Weiß,
keine Sonne mehr, ein Schleier.
"Herr, laß mich am Leben", haucht er stimmlos,
"laß mich für meinen Sohn am Leben, ich will dir
alles opfern, ich will ein Krüppel sein, aber
laß mich am Leben, ich bete für meinen Sohn, er
ist das einzige, was du mir gelassen hast."
Der Schleier löst sich auf in eine schwebende
Helligkeit, und wieder fühlt Jean Maynier sich
davonschweben, hinein in einen tausendfachen Schrei,
der langsam verhallt.
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