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Die heimliche Päpstin

Leseprobe - Prolog und Beginn des 1. Kapitels


Prolog

»Kennen Sie wirklich schon alle Geheimnisse dieses Grabmals?« fragte uns verschwörerisch der in korrektem Schwarz gekleidete Führer durch die Engelsburg zu Rom. Fürst del Drago, der mich bereits auf die Spuren der Papstgeliebten Silvia Ruffini gebracht und mich zu dieser Privatführung eingeladen hatte, lächelte wissend.


 
Es war nicht das erste Mal, daß ich die Gewölbe und Verliese, die Gänge und Kammern der Engelsburg durchwanderte, immer auf der Suche nach Zeichen, die in die Vergangenheit führen, in bisher Verborgenes, Verstecktes ...
D er Führer räusperte sich bedeutend und schloß eine schwere Eisentür auf. »Wir verlassen jetzt die Räumlichkeiten, die den normalen Besuchern zugänglich sind.«
Hinab ging es durch dunkle Gänge. Es roch muffig, nach Moder und Verwesung, nach jahrhundertealten Seufzern und verlorenem Stöhnen. Giovanni del Drago begann ein Liedchen zu pfeifen. Vor uns tanzte der Lichtkegel der starken Taschenlampe, mit der unser Führer den Weg in die Unterwelt zu beleben versuchte.
»Es gibt Verliese, die in Katakombentiefe liegen. Manche wurden später zugeschüttet, um die Erinnerung an die Menschen, die hier einen qualvollen Tod fanden, zu ersticken. Aber wer feine Ohren hat, kann noch immer ihre Schreie hören.«
Er öffnete eine knarrende Tür und ließ Licht in das feuchte Dunkel einer Kerkerkammer fallen. Drei magere Ratten huschten aufgescheucht über den staubigen Boden und schienen sich in Nichts aufzulösen.
»Hier lag und litt sie, Marozia, die Tochter des Theophylactus und der Theodora, die Herrscherin Roms und heimliche Päpstin, hier, an diesem Ort von Finsternis und Elend.« Seine Stimme bebte. Ich weiß nicht, ob aus Mitleid oder heimlicher Bewunderung.
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe glitt langsam über die schwarzglänzenden Wände aus schweren Quadern.
»Nur ich weiß, daß sie Spuren auch in dieser Gruft hinterlassen hat – hier!«
Mit einer emphatischen Bewegung wies der Führer auf eingeritzte Zeichen in der Wand. Ich trat näher. Es waren griechische Buchstaben, schwer erkennbar unter dem Schimmel der Jahrhunderte: , las ich, ataraxia, ein Wort des altgriechischen Philosophen Epikur, das meist mit Seelenruhe übersetzt wird. In dieser Umgebung erschien es mir wie ein höhnischer Kommentar.
Auch Fürst del Drago näherte sich der Wand, schaute über seinen Brillenrand und studierte die Buchstaben.
»Daß Marozia Griechisch beherrschte, ist unwahrscheinlich. Vermutlich wich ihr eine treue Sklavin in den schwersten Stunden nicht von der Seite.« Der Führer flüsterte nur noch. »Achten Sie auf das Echo der Stimmen: Wie flehende Geister rufen sie nach uns.«
Fürst del Drago lachte kurz auf. »Sie hieß Aglaia, war eine gelehrte Griechin, kam aus dem byzantinischen Reich ...«
»Wer?« fragte der Führer leicht verwirrt.
»Marozias Sklavin. Ataraxia anzustreben war das Motto ihres tapferen Lebens. Die beiden Frauen müssen hier tatsächlich ...«
»... eingegangen sein in das Höllenreich, verleumdet von der Nachwelt, die sich auf das Buch der Vergeltung des Bischofs Liutprand von Cremona stützt?«
»Richtig, auf das Werk eines voreingenommenen, geschwätzigen Frauenhassers.«
Der Führer stand bereits in der Tür, sorgsam jeden Kontakt mit den schmierigen Wänden vermeidend. »Habe ich Ihnen zu viel versprochen?«
»Nein, das griechische Wort ist der Beweis.«
»Im Vatikan will man nicht mehr an Marozia, ihre Mutter Theodora und die mörderischen Päpste der damaligen Zeit erinnert werden. ›Aus dem zehnten Jahrhundert, dem saeculum obscurum, gibt es keine neuen Quellen‹, behauptet der Archivar, mit dem ich sprach, ein verlogener Glatzkopf. Sie kennen ihn?«
Die Frage richtete sich an den Fürsten, der jetzt mit mir in den dunklen Gang trat. Giovanni del Drago nickte.
»Sie haben fast alles vernichtet, was es an verräterischen Dokumenten gab, schon früher, teilweise vor Jahrhunderten – die würdigen Kardinäle, die ernsten Bischöfe, der von seiner Mission erfüllte Papst. Wer will schon gerne an die mörderischen Jahrzehnte der sogenannten Hurenherrschaft erinnert werden, die über tausend Jahre zurückliegt.«
Als wir uns verabschiedeten, senkte der Führer seine Stimme: »Im Vatikan gab es schon immer Verschwörungen zur Unterdrückung der Wahrheit, bestochene Lohnschreiber und Geschichtsfälscher. Erwähnen Sie bitte nie meinen Namen! Ich hätte Ihnen nicht einmal diese Verliese zeigen dürfen.«

»Nun, was sagen Sie?« fragte Giovanni del Drago, als wir, gebeugt über die Brüstung der Engelsbrücke, unsere Blicke auf dem träge und schmutzig dahinfließenden Tiber ruhen ließen.
Wollte mir der Fürst eine neue story unterbreiten? Oder warum hatte er diese Privatführung organisiert? Marozia, die schöne, die leidenschaftliche Papstmacherin aus den höchsten römischen Adelskreisen, die mächtigste Frau Italiens im ersten Drittel des zehnten Jahrhunderts – war sie nicht in der Engelsburg, im Grabmal des römischen Kaisers Hadrian, aus der Geschichte verschwunden? Jeder wußte, was diese Formulierung der Historiker bedeutete.
Oder hatte der kriminalistische Spürsinn des fürstlichen Amateurarchäologen del Drago, der offensichtlich über weitreichende Kontakte verfügte, etwas entdeckt, was verborgen bleiben sollte, weil es ein neues Licht auf das dunkle Jahrhundert der Kirchengeschichte warf?
»Mir wurde ein altes Manuskript zugespielt«, erklärte er nicht ohne Stolz. »Irgend jemand wollte die Wahrheit retten, verstehen Sie? Die Wahrheit über das dramatische Leben der Marozia, von Aglaia, ihrer treuen Sklavin, aufgeschrieben. . So lautet der Erkennungscode, den wir in dem Manuskript und auch im Kerker der Engelsburg fanden, Aglaias Losung und Lebensphilosophie.« Er malte sorgfältig die griechischen Buchstaben mit dem Zeigefinger auf den Staub der Brüstung, und als er mich anschaute, blitzte in seinen Augen Begeisterung auf. »Endlich ein Zeugnis, das nicht von einem leib- und frauenfeindlichen Geistlichen verfaßt wurde, sondern von einer lebensklugen, leidensfähigen und wahrhaft starken Frau.«



Erster Teil

Das Rätsel der Sphinx

1

Wie konnte all dies nur geschehen?
Vor wenigen Augenblicken mußte ich Marozia noch tröstend in den Arm nehmen. Selten habe ich sie weinen gesehen, nun forderten Unsicherheit und Angst ihren Tribut. Während die Tränen flossen, schüttelte sie den Kopf. Sie wollte nicht begreifen, wie sich unser Leben innerhalb weniger Stunden geändert hatte. Gestern noch fühlte sie sich, die Herrin Roms und die Mutter unseres Papstes, als mächtigste Frau Italiens und zukünftige Kaiserin, heute liegt sie gestürzt und gedemütigt, geschlagen und voller Schmutz im tiefsten Kerker der Engelsburg. Gestern prunkte sie noch im dunkelglühenden Ornat ihrer Hochzeitsfeier, an der Seite eines Königs, der dabei war, Kaiser zu werden, gestern zeigte sie sich noch entschlossen, Italien zu einen, die brandschatzenden Ungarn endgültig zu vertreiben und den Sarazenen den Mut zu nehmen, über unsere Küsten herzufallen, heute sieht sie sich von einem rachsüchtigen Gott in eine dunkle Tiefe gerissen, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.
Langsam beruhigte sich Marozia wieder, legte sich auf eine der mit schmutzigem Stroh bedeckten Holzpritschen, starrte an die niedrige Decke. Ihre Lippen wurden schmal, ihre Zähne knirschten vor erneut hervorbrechender Wut. Dann schloß sie die Augen, und die Wut in ihrem Antlitz verwandelte sich in Verzweiflung.
»Warum nur?« flüsterte sie. »Aglaia, sag mir: Warum?«
Was sollte ich darauf antworten! Wußte ich denn, warum ein nichtiger Anlaß solch schreckliche Folgen nach sich ziehen und ihre Hochzeit mit König Hugo wie ein Alptraum enden mußte? Es war, als hätte der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm hervorgerufen.
Sie seufzte, und eine letzte Träne quoll unter den geschlossenen Lidern hervor.
Eine Weile wanderte ich durch unser Verlies und ließ mich schließlich auf der zweiten Pritsche nieder, warf einen Blick auf Marozia, die wie eine marmorne Grabfigur ihrer selbst dalag, stumm und kraftlos, doch nicht ohne Stolz und Würde. Ich starrte an die schimmlige Wand, als könnte ich dort eine Antwort finden.
Die Hochzeitsfeier in der Engelsburg, in diesem uralten Mausoleum, zog quälend langsam vor meinem inneren Auge vorbei. Schon sie war ein Sakrileg, das nach Strafe schrie. Alberico, Marozias zweitgeborener Sohn, betrat den Raum, bewegte sich mit gezirkelten Schritten auf König Hugo, seinen Stiefvater, zu. Hugo brach in höhnisches Gelächter aus, und Albericos schritt zur sorgfältig geplanten Tat. Am meisten hat sich mir sein haßerfüllter Blick eingeprägt, den er, bevor er den Raum verließ, auf Stiefvater und Mutter warf. Am nächsten Morgen – gestern! – geschah dann, was niemand erwartet, ja, auch nur für möglich gehalten hatte und was uns schließlich in diesem stinkenden, stickigen und feuchten Kerker enden ließ.
Warum muß Alberico uns so bestrafen? Hätte es nicht gereicht, König Hugo in Fesseln zu legen? Weiß Alberico nicht, daß er mit seiner Tat eine Spirale der Gewalt in Gang setzt, in der einer untergehen muß: seine Mutter oder er?
Ich verstehe nach all dem Demütigenden, das er während der letzten Tage ertragen mußte, seinen Zorn, ich verstehe auch die Verletzungen, die er seit seiner Kindheit hat erleiden müssen – doch warum geht er so weit, alle Brücken der Verständigung abzubrechen? Niemand weiß besser als ich, daß er um die Liebe seiner Mutter kämpfte, daß er hinter seinem Bruder Giovanni zurückstand, dem Erstgeborenen, der auf Marozias Betreiben hin zum pontifex maximus gewählt wurde, während er auf das Erbe seines Vaters bis heute wartet.
Eins ist sicher: Wir alle haben ihn unterschätzt. Seinen Willen, seine Kraft und auch die Entschlossenheit seiner Anhänger.
Marozia öffnete wieder die Augen, als hätte sie nur kurz nachgedacht, und erklärte in die Stille des Kerkers hinein: »Er muß uns freilassen. Hugos Heer liegt vor den Mauern der Stadt und wird sie stürmen, wenn der König nicht bald zurückkehrt. Seine Soldaten werden sich furchtbar rächen, Alberico wird einen grausamen Tod erleiden ...«
»Roms Mauern sind hoch und stark bewehrt«, entgegnete ich.
Marozia richtete sich auf und starrte mich verärgert an.
Ohne die Ruhe zu verlieren, ergänzte ich noch: »Vielleicht hat Alberico sogar den König umbringen lassen.«
Sie sprang abrupt auf und durchschritt unsere Zelle wie eine eingesperrte Löwin. »Selbst wenn Hugos Männer Rom nicht erobern, können sie die Stadt aushungern«, rief sie gegen eine der Wände.
»Bevor die Stadt ausgehungert ist, lebt keiner mehr von uns.«
...


 
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