Mit
der Liebe der
Kurtisane schließe
ich eine Reihe von Romanen
ab, deren Ziel es war, vom
Leben, Lieben und Leiden
im Zeitalter der
Renaissance zu erzählen.
Damit verlasse ich auch
den Vatikan, in den ich
mich während der letzten
vierzehn Jahre mit Hilfe
meiner Autorphantasie
immer wieder
eingeschlichen habe, um
insbesondere in eine
Soutane zu schlüpfen: in
die des römischen Adligen
Alessandro Farnese (1468 –
1549), der in jungen
Jahren Kardinal und im
hohen Alter als Paul III.
Papst wurde. Als einer der
beliebtesten Päpste seiner
Zeit repräsentierte und
prägte er das Zeitalter
der römischen Renaissance
wie kein anderer.
Ich
entdeckte diesen Papst
mehr oder weniger per
Zufall, doch seine
Persönlichkeit wie seine
Lebensgeschichte
faszinierten mich derart,
dass ich ihn in vier
meiner sechs
Renaissance-Romane
auftreten ließ. In der Geliebten
des
Papstes und der Tochter
des Papstes steht
er als junger Mann und als
aufstrebender Kardinal im
Zentrum der Geschichte, in
der Liebe der
Kurtisane spielen
er und seine Familie
ebenfalls eine wichtige
Rolle, wenn auch diesmal
die zentrale Figur eine
römischen Kurtisane aus
der Zeit seines
Pontifikats ist.
Während
der Hochrenaissance
unterschieden sich die
erfolgreichen römischen
Kurtisanen durch ihre
Schönheit und Bildung,
ihre Individualität und
Unabhängigkeit von den
meisten Frauen ihrer Zeit.
Im Spiel der Geschlechter
gelang es ihnen häufig,
sich von der Dominanz der
Männer zu befreien. Dabei
spielte die Tatsache, dass
ihr Körper begehrenswert
war und sich seine
sexuelle Verfügbarkeit
teuer verkaufen ließ,
nicht die entscheidende
Rolle. Entscheidender war,
dass sie ihre physische
Schönheit, Attraktion und
Präsenz mit vornehmen,
ausgefeilten Manieren
verbanden sowie mit einer
für die Frauen der
damaligen Zeit
ungewöhnlichen Bildung,
die sonst allein einzelnen
Damen des hohen Adels
vorbehalten war.
In
einer Welt, in der Ehen
selten aus Liebe, meist
aus handfesten
politischen, finanziellen,
sozialen oder beruflichen
Gründen von den Eltern
arrangiert und geschlossen
wurden, boten die
Kurtisanen Männern mit
finanziellem Hintergrund
und ästhetischem wie
intellektuellem Anspruch
eine
‹Freizeitbeschäftigung›,
die in ihrer Vielfalt
nicht raffinierter sein
konnte: kluge Gespräche zu
zweit oder im Kreis
Gleichgesinnter,
wohlschmeckende
Mahlzeiten, erotisierend
empfundene Musik,
anregende Dichtung und
nicht zuletzt
phantasievolle körperliche
Liebe. Dass ein Großteil
dieser Männer auf Grund
ihrer kurialen Karriere
nicht heiraten durfte,
verstärkte natürlich die
Nachfrage.
Für
mich sind die römischen
Kurtisanen, die das Risiko
eingingen, sich für eine
gewisse Zeit erfolgreich
von den Moralvorstellungen
einer lustfeindlichen
Kirche unabhängig zu
machen, die wahrhaft
emanzipierten Frauen ihrer
Epoche. Das Wagnis ihrer
sozialen Karriere setzte
häufig eine auffallende
Charakterstärke, einen
enormen Willen zur
Unabhängigkeit und nicht
zuletzt ungewöhnliche
Klugheit voraus.
Für
mehrere Jahrzehnte lebten
sie als vielgepriesene und
bewunderte
Weiblichkeitsideale einer
gebildeten und
anspruchsvollen
Männerschicht im
aufblühenden Rom. Nach der
apokalyptischen
Heimsuchung, die die Ewige
Stadt 1527 im sacco di
Roma ertragen
musste (von mir in Die
Tochter des Papstes detailliert
geschildert), setzte
langsam eine
‹geistig-moralische Wende›
ein, die verstärkt wurde
durch das unaufhaltsame
Vordringen des
Protestantismus, der auch
Italien zu erfassen
drohte.
Ein
Umdenken war also
angesagt, und niemand
anderes als der
lebensfrohe, wenig fromme
und äußerst nepotistische
Alessandro Farnese musste,
nachdem er endlich 1534
zum Papst gewählt worden
war, die Aufgabe
übernehmen, diese Wende
und damit die Rettung der
römisch-katholischen
Kirche einzuleiten. Es ist
ein Treppenwitz der
Geschichte und zudem die
Tragik dieses Mannes, dass
gerade er, der geprägt war
vom Geist einer Kirche,
die unter dem Borgia- und
den Medici-Päpsten ihre
große kunstsinnige,
moralferne wie
glaubensschwache Phase
durchlebt hatte, die
Gegenreformation einleiten
musste. Als Landmarken
sind hier zu nennen die
Gründung des
Jesuitenordens unter
Ignatius von Loyola, die
Wiedereinführung der
italienischen Inquisition
unter Gianpietro Carafa,
dem späteren Papst Paul
IV., und natürlich das
Konzil von Trient, in dem
die dogmatischen
Grundlagen der
katholischen
Gegenreformation
festgestanzt wurden.
Die
Geschehnisse dieser Zeit
spiegelt der vorliegende
Roman in dem Schicksal der
erfolgreichen Kurtisane
Lucrezia, die sich durch
eine komplizierte
Liebesbeziehung an die
Familie Farnese gebunden
fühlt, die zugleich zum
Hassobjekt dreier
Mitglieder der
neapolitanischen Familie
Carafa wird: gemeint sind
Gianpietro Carafa und zwei
seiner Neffen.
Der
orthodoxe, fanatische, in
seinen menschlichen
Eigenschaften unbestritten
problematische
Carafa-Papst ist neben
seinem ‹Schüler› und
pontifikalen Nachfolger
Pius V. Ghislieri ein
Repräsentant der unguten
Seiten der
Gegenreformation. In
seinem Kampf um den
rechten Glauben und die
richtige Moral (beide
glaubte er allein
gepachtet zu haben) zeigte
er rigide, ja, paranoide
Verhaltensweisen, die
immer wieder an blutige
Diktatoren des vergangenen
Jahrhunderts denken
lassen. Papst Pius V.
führte dann, zumindest für
die Zeit seines
Pontifikats, Carafas Werk
fort, bis spätere Päpste
es endgültig vollendeten,
aber teilweise auch wieder
abmilderten: In der
Judenverfolgung nahmen
Carafas und Ghislieris
Maßnahmen die Politik
jüngst vergangener Zeiten
vorweg (die Vorschrift,
gelbe Hüte zu tragen,
Ghettoisierung,
Berufsverbote, Vertreibung
usw.), in der Verfolgung
angeblicher Häretiker und
unmoralischer Personen wie
der Kurtisanen zeigten
diese Päpste einen
Fanatismus, der zu den
düstersten Kapiteln der
Kirchengeschichte gehört.
Einige Beispiele sind in
dem Roman geschildert. Sie
entstammen nicht der
makabren Phantasie des
Autors, sondern den
historischen Quellen und
beziehen sich auf
Personen, die real gelebt
und gelitten haben.
Hiermit
stoßen wir auf das
Verhältnis von Fakten und
Fiktionen: Mein Heldin
Lucrezia Onesta Aretina
ist (wie ihre Amme Marta
und die anderen
Bediensteten) zwar eine
fiktive Figur, sie
verkörpert jedoch das
Schicksal und die
Eigenschaften mehrerer
realer römischer
Kurtisanen. Ihre
wirtschaftliche
Erfolgsgeschichte wie
einen Teil ihres Namens
habe ich den
Lebenszeugnissen der
Kurtisane Lucrezia
Galletta, genannt La
Luparella,
entnommen, die während der
vierziger Jahre des 16.
Jahrhunderts sehr
erfolgreich in Rom wirkte.
Wie
bereits für frühere Romane
konnte ich dabei das
äußerst materialreiche
Buch Die Töchter der
Venus von Monica
Kurzel-Runtscheiner
verwenden, dem ich den
Großteil meines Wissens
über die römischen
Kurtisanen verdanke. Ihm
entnahm ich zahlreiche
weitere Details, die
historisch belegt sind,
obwohl sie wie
Romanphantasien klingen:
So zum Beispiel der
‹Verführungsversuch›
Gianpietro Carafas, der
hergeleitet ist aus einer
ähnlichen Versuchung des
später heiliggesprochenen
Filippo Neri (und einem
weiteren Beispiel).
Das
Leben und Leiden der
Kurtisane Lucrezia, wie
ich es schildere, beruht
also auf reichhaltigem
Material. Sie ist zwar
nicht die Tochter von
Pietro Aretino, dies ist
meine Erfindung, doch habe
ich, was den Dichter und
ersten ‹Klatschreporter›
seiner Zeit angeht, so gut
wie nichts erfunden. Das
Gleiche gilt für Kardinal
Alessandro Farnese junior,
dessen Geschichte eng an
Lucrezias Leben gekoppelt
wird. Da Lucrezia eine
Kunstfigur ist, muss ihre
Liebe eine Roman-Romanze
sein. Allerdings habe ich
versucht, in der
Schilderung seines Lebens
(und diese Aussage gilt
weitgehend für die gesamte
Familie Farnese)
historisch exakt zu
bleiben. Für Kardinal
Alessandro Farneses
Tochter Clelia wird zwar
meist eine französische
Hofdame als Mutter
angenommen, allerdings ist
diese Annahme nicht
gesichert. Fakt ist
jedoch, dass Clelia, eine
berühmte Schönheit ihrer
Zeit, bei ihrer Tante
Vittoria in Urbino
aufwuchs.
Eine
ähnliche Kombination von
Fiktion und Fakten gilt
für den Kaiser und seinen
Auftritt in Rom, seinen
späteren Kampf gegen die
Schmalkaldener. Die im
Roman nur sehr knapp
ausgeführten Rahmendaten
sind den historischen
Quellen entnommen, die
Liebesbegegnung ist fiktiv
– wobei bekannt ist, dass
Karl V. mit Madama
Margarita und dem späteren
Lepanto-Sieger Juan
d’Austria zwei illegitime
Kinder hatte, die eine
nicht unwichtige Rolle in
der Geschichte des 16.
Jahrhunderts spielen
durften. Auch was Madama
angeht, habe ich mich an
Fakten gehalten - so an
ihren Unwillen, Ottavio
Farnese zu heiraten, ihre
Äußerungen über ihn, die
Jahre hinausgezögerte
eheliche Vereinigung usw.
Entscheidender
als die Verwendung
historischer Details ist
die Einbettung meines
Romans in den
kirchengeschichtlichen
Rahmen. Nicht nur der
knappe Abriss des
Pontifikats von Paul III.
Farnese mitsamt seinem
tragischen Ende, nicht nur
der nachfolgende Kampf der
Enkel um ihr Herzogtum,
sondern auch die Fakten
über Onkel und Neffen
Carafa beruhen auf
historischen Quellen.
Papst Paul IV. Carafa war
ein Papst, der selbst dem
kirchenfrommen Ludwig von
Pastor in seiner
voluminösen wie
grundlegenden
Papstgeschichte kritische
Bemerkungen entlockt.
Sieht man von der anderen
Quellen entlehnten
Verführungsszene und ihren
Voraussetzungen ab, so
brauchte ich nichts zu
erfinden und kaum etwas zu
dramatisieren.
Mehr
noch als er sind seine
Neffen die klassischen
Bösewichter und
Antagonisten des Romans.
Sie waren auch in Realität
Verbrecher: Die
Anklageschrift Sandro
Pallantieris (der
ebenfalls ein Abbild des
realen Sandro Pallantieri
ist) listete zahllose
Untaten auf. Ich brauchte
nichts zu erfinden.
Giovannis Ehrenmord an
seiner Frau Violante und
ihrem (angeblichen)
Liebhaber ist hinreichend
belegt (und war schon
einmal der Anstoß für eine
Erzählung: Stendhals Gräfin
von Paliano), ebenso
die Rolle, die Carlo
während des Pontifikats
seines Onkels gespielt
hat. Bereits vor seiner
einflussreichen Zeit in
Rom wurde er wegen Mords
und Banditentums
verurteilt und aus Neapel
verbannt. Ihm wurden so
gut wie alle möglichen
Verbrechen der damaligen
Zeit angelastet, und kaum
etwas davon war erfunden –
bis hin zu seinen
homoerotischen Neigungen,
die ihn mit Pierluigi
Farnese (und Papst Julius
II. Il Terribile)
verbanden und die damals
als Sodomie ein schweres
Verbrechen waren.
Die
komplexe Beziehung
zwischen Giovanni Carafa
und Lucrezia ist
zwangsläufig fiktiv, doch
der Rest ist belegt, bis
hin zu dem Prozess gegen
die beiden Brüder und
ihrem Tod. Zu ergänzen ist
an dieser Stelle, dass der
historische Sandro
Pallantieri seine
Gegenspieler nur um zehn
Jahre überlebte. Unter dem
bereits erwähnten
Ghislieri-Papst, einem
Carafa-Freund, wurde ihm
wegen des angeblich
politisch motivierten
Prozesses gegen die
Carafa-Brüder selbst der
Prozess gemacht. Die
Carafas wurden
nachträglich
rehabilitiert, und
Pallantieri verlor im Tor
di Nona seinen Kopf.
Il
Gran Cardinale
Alessandro Farnese junior
kaufte auch in Realität
die dann so genannte Farnesina
von den Erben Agostino
Chigis im Jahre 1579 oder
1580. Gegen alle
Erwartungen und Ambitionen
wurde er nie Papst (er
starb hochangesehen im
Jahr 1589). Dass sich die
lebenslange Sehnsucht
unserer Lucrezia, ihren
Lebensabend in der villa
d’amore zu
verbringen, erfüllen
sollte, bleibt dagegen
poetische Gerechtigkeit
und romantische Wahrheit
im Sinne eines Happy Ends.
Wer
sich im Übrigen für die
Geschichte der Farnesina
und ihres Erbauers
Agostino Chigi wie seiner
Geliebten interessiert,
der sei auf meinen Roman Die
Schwestern der Venus
verwiesen.
Seit
fast fünfzehn Jahren
beschäftige ich mich nun
mit der wechselvollen
Geschichte der
römisch-italienischen
Renaissance, mit ihrem
Janus-Gesicht aus
Kunstversessenheit,
Schönheitskult,
Individualismus und
intriganter Machtgier, und
selbst nach sechs Romanen
hat sie für mich noch
nichts von ihrer
Faszinationskraft
verloren. Die ihr
nachfolgenden Jahrzehnte
und Jahrhunderte, deren
düstere Seiten sich aus
den Widersprüchen der
Renaissance selbst
entwickelten, übertrafen
sie häufig an skrupelloser
Brutalität, aber nie an
schillernder Kreativität.
Was mit dem Lebensstil der
Renaissance unterging, war
die Kultur der römischen
Kurtisanen, eine Kultur
sinnenfroher Libertinage,
die sich leuchtend abhebt
von den dunklen Jahren
fanatischen Wahns und
blutiger Rechthaberei.
Insgesamt
habe ich in meinen
Renaissance-Romanen eine
(italienische) Sitten- und
Kirchengeschichte erzählt,
die sich um Papst Paul
III. Farnese, seine
Familie und sein soziales
Umfeld rankt und deren
Figuren miteinander
verwoben sind. Dabei blieb
immer mein Bemühen
vorherrschend, nicht nur
fesselnde und lebenspralle
Geschichten über die conditio
humana zu erzählen,
sondern auch historisch
exakt zu bleiben. Meine
Romane bemühen sich bei
aller poetischen Freiheit
und dramaturgischen
Zuspitzung um historische
Authentizität, so dass man
sie auch lesen kann als
anschauliche und
faktenreiche
Darstellungen, die über
eine der interessantesten
Epochen des Abendlands
informieren.
Zum Schluss möchte ich noch auf die Bücher
hinweisen, denen ich
für diesen Roman am
meisten verdanke: Da
ist zum einen die
bereits erwähnte
Studie über Die
Töchter der Venus
zu nennen, zum anderen
die ebenfalls
erwähnte, in ihrer
Genauigkeit
unübertroffene
Darstellung der
Geschichte der Päpste
von Ludwig von Pastor
(die Bände V, VI und
VII). Hinzu kommen die
Abhandlung Daily
Life in Renaissance
Italy von
Thomas und Elizabeth
Cohen sowie die von
Thomas Cohen
beschriebenen Prozesse
aus der römischen
Spätrenaissance (Love
and Death in
Renaissance Italy).
Im Einzelnen nicht
mehr aufzuzählen sind
zahlreiche andere
Werke: Biographien
über Kaiser Karl V.,
Luther, Aretino,
Studien über die
Farnese-Familie (immer
wieder hervorzuheben
die Werke von Roberto
Zapperi), über die
Renaissance-Päpste und
ihre Frauen wie
Kinder, Peter Godmans
Studie über die
römische Inquisition,
Peter Burkes
Untersuchungen wie
Peter Partners
Darstellung Renaissance
Rome. A
Portrait of a
Society,
kultur-, wirtschafts-
wie
kunstgeschichtliche
Abhandlungen, auch von
Volker Reinhardt,
einem der
herausragendsten
Kenner der
italienischen
Renaissance und Autor
zahlreicher Bücher,
sowie vielfältige
Internetfunde.