Er
führte mich zu der Fensterfront, von der wir
einen weiten Blick auf den im Gegenlicht glasig
verschwimmenden See hatten. "Schauen Sie. Dort
hinten liegt ihre Schicksalsinsel."
"Sie sprechen von Silvia Ruffini, nicht wahr?"
fragte ich.
Bei meinen Nachforschungen, die mich durch die
farnesischen Burgen des nördlichen Latium, durch
einige verstaubte Bibliotheken und zum Schluß
auch in die Vorzimmer des vatikanischen Geheimarchivs
geführt hatten, war ich auf allerlei Material
der Familie Farnese gestoßen, allerdings noch
nie auf ein Bildnis der Frau, die mich beschäftigte,
seitdem ich etwas über die ungewöhnliche und
abenteuerliche Jugend von Papst Paul III. erfahren
hatte.
"Sie kennen sie", erklärte Fürst del Drago.
"Wen?"
"Sie kennen Silvia Ruffini. Da bin ich sicher.
Aus Rom. Jeder Rompilger kennt sie. Nur: Keiner
weiß es. Noch nicht einmal die Kunsthistoriker
wollen es wahrhaben." Er lachte abschätzig und
führte mich wieder zurück zu dem kunstvoll in
die Holzvertäfelung eingefügten Bild. Forschend
schaute er mich an. "Auch Sie fangen Feuer,
das sehe ich,"
"Nun, Silvia Ruffini interessiert mich sehr."
Fürst del Drago machte eine Handbewegung, als
wollte er das Bild streicheln. "Ich lebe mit
ihr. Ich liebe sie wie meine eigene Mutter.
Ich liebe sie, wie Tiberio Crispo sie geliebt
haben muß oder vielleicht auch Pierluigi Farnese,
ihr schwuler Sohn."
Ich trat einen Schritt zurück.
"Aber war Pierluigi Farnese nicht verheiratet
und hatte fünf Kinder?"
Fürst del Drago lachte über soviel Naivität.
"War nicht auch Alessandro Farnese Kardinal,
später sogar Papst und hatte trotzdem vier Kinder?"
"Das ist richtig."
Während ich von neuem das Porträt studierte,
um mich dem Wesen dieser schönen und geheimnisvollen
Signora zu nähern, beobachtete mich Fürst del
Drago.
"Und Sie interessieren sich wirklich für Silvia
Ruffini?"
"Ich sagte es bereits."
"Sie wollen ein Buch über sie schreiben."
"Wenn ich genügend Material finde."
"Ha!" Fürst del Drago bewegte sich behende zu
einem wurmstichigen Schreibpult und fingerte
einen Schlüssel aus seiner Weste. Ich betrachtete
ihn nun genauer. Er sah aus, als wäre er einem
der späten Filme von Visconti entsprungen. Die
Haare waren streng gescheitelt, die blaßfarbenen
Augen lagen tief in den Höhlen, ein Menjou-Bärtchen
zierte seine Oberlippe, und sein Anzug schimmerte
in einem cremigen Weiß.
Er hatte inzwischen die Pultplatte geöffnet.
"Hier!", sagte er nicht ohne Nonchalance. "Hier
liegt alles, was Sie brauchen, Briefe, alte
Urkunden, sogar der Beginn einer handgeschriebenen
Autobiographie von Silvia Ruffini. Natürlich
sind das alles nur Kopien, die Originale liegen
in meinem Banksafe. Ich sehe Ihre Augen leuchten.
Ja, dies ist ein Schatz. Daraus können Sie einen
Roman stricken und müssen noch nicht einmal
viel erfinden. Das eine oder andere Detail vielleicht."
Er lachte mit heller Stimme.
"Und Sie würden mir die Papiere zur Einsicht
überlassen?" fragte ich ohne Umschweife. Denn
genau dies wollte ich.
Nun sah er mich spöttisch an. "Warum nicht?
Aber ich warne Sie. Ein Großteil soll gefälscht
sein. Dies haben mir die Herren Archivare des
Vatikans erklärt und zum Beweis eine chemische
Analyse des Papiers sowie das Gutachten eines
Graphologen vorgelegt. 'Außerdem hat Papst Paul
III. weder ein Notzuchtverbrechen noch gar einen
Mord begangen, wie manche der angeblichen Dokumente
nahelegen', erklärten sie. 'Bekanntlich gibt
es eine umfängliche Rufmordliteratur über ihn.
Sie begann schon mit Luther, der dem Papst Sodomie
und inzestuöses Verhalten nachsagte. Die Familie
Crispo scheint fleißig Material über ihn gesammelt
zu haben. Darauf darf man nicht hereinfallen.'
Ich wurde also durchaus überzeugend über den
historischen Wert dieser Unterlagen aufgeklärt."
Fürst del Dragos Stimme klang auffallend ironisch.
Er seufzte, kramte in den Papieren und zog ein
paar zusammengeheftete Seiten hervor. "Hier,
der Beginn ihrer Autobiogaphie! Leider ist sie
nicht weit gekommen, die alte Dame. Wahrscheinlich
starb sie. Oder litt an altersbedingter Amnesie.
Wissen Sie -"
Fürst del Drago unterbrach sich, trat wieder
ans Fenster und blickte plötzlich verloren über
den See. "Eigentlich wollte ich selbst eine
Biographie über den Papst und seine Geliebte
schreiben. Aber es wurde immer ein Roman daraus.
Irgendwann gab ich es auf. Ich lebe ja mit meiner
geliebten Silvia, kann ihr täglich in die Augen
schauen. Was muß ich einen Roman über sie schreiben!
Aber Sie, Sie können es versuchen. Ich bin nicht
eifersüchtig. Finden Sie heraus, wie sie gelebt
und geliebt hat!"
TEIL I: Das Ende der Unschuld
1.
Kapitel
Silvias
Mutter hatte ihr erstes Ziel erreicht. Das Oberhaupt
der Orsini-Familien lud Rufino Ruffini, seine
Gemahlin sowie seine Tochter auf die Burg am
Lago di Bracciano ein, um die Möglichkeit einer
Ehe zwischen einem der zahlreichen Orsini-Söhne
und Silvia auszuloten. Es war das Jahr des Herrn
1486, Papst Innozenz VIII. Cibò war Oberhirte
der Christenheit.
Silvia schlief die letzte Nacht vor dem Aufbruch
schlecht, weil sie wußte, daß große Veränderungen
sie erwarteten. Noch trennten sie drei Jahre
vom heiratsfähigen Alter, aber wäre erst einmal
der Ehevertrag geschlossen, dann zählte nur
noch ihre Zukunft als Mutter, vorbei wären die
unbeschwerten Tage der Kindheit, die langen
Sommer in Frascati, der Wind in ihren Haaren,
während sie den großen Olivenhain entlangritt,
über die blumengesprenkelte Wiese... Übergangslos
wechselte sie vom Grübeln in einen Traum. Noch
immer sah sie das Bild der Wiese vor sich und
an seinem Rand einen sich schlängelnden Fluß,
in dem sie schwimmen wollte. Ihre Brüder winkten
ihr lachend zu. Aber dann verschwand einer nach
dem anderen, und schließlich hörte sie von dem
ältesten nur die dunkle Stimme, er wandelte,
versteckt unter einer Kutte mit weit übers Gesicht
gezogener Kapuze, über die Engelsbrücke zur
Burg der Päpste und weiter in Richtung San Pietro.
Sie rannte ihm nach, bis er sich in einem grellen
Lichtschein verlor und sie schweißgebadet aufwachte.
Schnell zündete sie eine Kerze an und versuchte
zu beten. Aber es wollte ihr nicht gelingen,
weil das Bild ihres ältesten Bruders nun nicht
mehr gnädig eingehüllt vor ihr stand. Der abkühlende
Schweiß auf ihrer Haut ließ sie zittern, und
ihr Herz schlug schnell und heftig. Bei der
Engelsbrücke hatten sie ihn aus dem Tiber gezogen
und auf einem Handkarren zum Elternhaus im Rione
della Pigna gebracht. Zufällig befand sich ein
Stoffband mit seinem Namen an den Resten der
Kleidung; sonst hätte man ihn gleich ins Massengrab
geworfen, in dem die Heilige Stadt ihre zahlreichen
unbekannten oder unkenntlichen Toten begrub.
Silvia stand fassungslos vor dem Bruder, neben
ihr der Vater, der ihren Kopf an sich drückte,
um sie von dem Anblick der entstellten Leiche
zu befreien. Die Mutter wandte sich ab und verließ
den Raum. Silvia hörte einen langen, verzweifelten
Schrei, der in einem tierischen Wimmern verebbte.
Dann sprach die Mutter tagelang nicht mehr.
Sie schloß sich in ihr Zimmer ein und war nicht
zu bewegen, an dem Begräbnis des Sohnes teilzunehmen.
Als Silvia ihr wieder begegnete, hatten sich
ihre Gesichtszüge verhärtet, die Augen waren
überschattet, die Stimme kalt und scharf.
Obwohl noch gedämpfte Trauerstimmung im Hause
herrschte, erklärte die Mutter einige Wochen
später, ohne daß das Thema vorher angeschnitten
worden war: "Silvia ist zwar erst zwölf Jahre
alt, aber wir sollten schon jetzt einen Ehevertrag
mit den Orsini abschließen."
Silvia zuckte zusammen und erstarrte. Der Vater
zögerte mit einer Antwort, warf einen traurigen
Blick auf seine Tochter, strich ihr dann über
den Kopf. Hilfesuchend drückte sie sich an ihn.
Aber die Mutter ließ sich nicht abhalten, Silvia
ans Fenster zu ziehen, ungeduldig den Sitz von
Hemd, Ärmeln und Gürtel zu richten und ihr einige
der unbotmäßigen Haare aus der Stirn zu streichen.
Dann eilte sie zu ihrer Aussteuertruhe, hob
den Deckel, starrte hinein und ließ ihn wieder
geräuschvoll fallen. Sie richtete sich auf und
rauschte, offensichtlich ziellos, durch den
Raum. Das Seidenkleid schleifte über den Boden,
die streng geflochteten Zöpfe schienen sich
am Hinterkopf auflösen zu wollen, so daß sie
sie mit einer nervösen Bewegung zurechtrückte.
Schließlich baute sich die Mutter vor dem Vater
auf. "Wenn die Mitgift hoch genug ist, werden
die Orsini nicht nein sagen." Sie schaute ihn
auffordernd an. "Dein Vermögen hat sich in den
letzten Jahren durch Gottes Hilfe vermehrt,
es wird Zeit, daß wir beginnen, seine Früchte
zu ernten."
Der Vater bewegte zweifelnd den Kopf hin und
her: "Ich werde den Astrologen fragen, ob der
Zeitpunkt günstig ist. Aber ich glaube nicht,
daß gerade die Orsini... Sie werden mich auslachen."
Er wandte sich zum Gehen.
"Wenn ihnen deine Golddukaten in ihre gierigen
Augen stechen, werden sie ihren Dünkel vergessen."
Die Mutter ließ einen prüfenden Blick über Silvias
Gesicht gleiten. "Häßlich ist unsere Tochter
auch nicht, außerdem hat sie ein angenehmes
Wesen."
Silvia fühlte sich erröten und schaute auf den
Boden.
"Die Mitgift muß überzeugend hoch sein." Die
Stimme der Mutter wurde lauter, fast schrill,
während sie erneut an Silvias Kleid herumnestelte.
"Die Orsini brauchen unablässig Geld bei ihren
Fehden gegen den Papst und die Colonna oder
wen auch immer." Als der Vater das Zimmer schon
verlassen hatte, rief sie ihm noch nach: "Dein
Astrologe hat zwar düstere Wegstrecken angedeutet,
aber Licht am Ende des Weges gesehen. Hoffentlich
behält er recht." Ihre Stimme wurde plötzlich
leise. "Der düstre Tod liegt hinter uns, jetzt
muß das Licht des Lebens folgen."
Silvia traten Tränen in die Augen. Sie mußte
an ihre Brüder denken und spürte gleichzeitig
eine beklemmende Angst vor dem, was sie wie
hinter einer Nebelwand erwartete.
Die Mutter wischte ihr mit einer fahrigen Bewegung
die Tränen von den Wangen. Plötzlich verzerrte
sich ihr Mund, und sie schluchzte für einen
kurzen Augenblick auf. Aber die Augen blieben
trocken und kalt. Dann drehte sie Silvia wie
eine Puppe hin und her.
"Du wirst bald Formen bekommen. Der Allmächtige
segne dein Becken!" Während ihr kritischer Blick
sich milderte, schluchzte sie erneut auf. "Drei
Söhne habe ich diesem Mann geschenkt, und keiner
ist mir geblieben. Wo bleibt da Gottes Gerechtigkeit?
Wo kann da Licht am Ende des Weges sein?" Nun
füllten sich ihre Augen doch noch mit Tränen.
Silvia riß sich von ihr los und rannte zu ihrem
Vater in sein Studiolo. Am liebsten hätte sie
geschrien, einfach geschrien, damit sie dieses
beklemmende Würgegefühl verließ, aber sie vergrub
nur ihr Gesicht an seiner Brust. Er strich ihr
über den Kopf.
"Soll ich dir aus den Metamorphosen des Apuleius
vorlesen?" fragte er nach einer Weile beruhigend.
Sie nickte heftig. Und als er mit seiner vibrierenden,
dunkel und hell werdenden Stimme las, vergaß
Silvia die toten Brüder. Stattdessen folgte
sie neugierig den abenteuerlichen Wegen des
verwandelten Esels, erlebte seine Liebesabenteuer
in fernen wunderbaren Welten, rang leidenschaftlich
mit Chloë um den verlorenen Amor, weinte und
lachte und träumte sehnsüchtig von dem, was
jenseits der Wände ihres Hauses lag.
Als der Vater erschöpft und mit müder Stimme
das Buch zur Seite legte, wünschte sich Silvia,
mit ihm noch auszureiten, auf Bianca, ihrer
Schimmelstute, die ihr der Vater zu ihrem zwölften
Geburtstag geschenkt hatte - zu den Weinbergen,
die sich nach Osten hin an den Palatin anschlossen,
oder sogar auf der Via Appia über die Aurelianische
Mauer hinaus. Sie wünschte sich, mit ihm nach
Frascati zu reisen, zu den silberglänzenden
Olivenhainen, den Weinbergen und weise nickenden
Pinien, die aussahen wie graue Kardinäle mit
ihren runden Schirmhüten.
"Aber mein Kind...", antwortete der Vater. "Bis
ich die Schutztruppe beisammen habe, wird die
Sonne zu tief stehen, und außerdem möchte es
deine Mutter nicht."
Sie waren während der letzten Woche überhaupt
nicht mehr zusammen ausgeritten, denn die Einladung
der Orsini war eingetroffen, und die Mutter
ergriff eine fiebrige Rastlosigkeit, die sich
auf die ganze famiglia übertrug.
Und nun brach der Tag an, der sie zu ihrer zukünftigen
Familie bringen sollte.
"Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus,
nunc et in hora mortis nostrae. Heilige Maria,
Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und
in der Stunde unseres Todes. Amen", flüsterte
Silvia. Wieder ruhiger geworden, glaubte sie
noch einmal einschlafen zu können und blies
die Kerze aus. Aber sie blieb wach, traumlos,
voll wirrer Gedanken, bis sie erste Geräusche
im Hause hörte. Noch bevor Rosella, ihre Kammerfrau,
sie wecken konnte, stand sie auf, öffnete die
Fensterläden und schaute hinaus in den dämmergrauen
Himmel der Ewigen Stadt. Dann kniete sie sich
vor ihr Kruzifix und das Madonnenrelief, die
beide über dem kleinen Pult neben dem Bett hingen,
und betete noch einmal das Ave Maria.
Kurz
nach Öffnung der Stadttore ritten Silvia und
ihre Mutter durch die Porta del Popolo, um über
die Via Cassia zum Lago di Bracciano zu gelangen.
Rosella begleitete sie und außerdem eine kleine
bewaffnete Eskorte. Der Vater wollte noch ein
letztes Mal den Astrologen konsultieren und
später nachkommen.
Bald hatten sie Rom hinter sich gelassen und
ritten durch den taufrischen Morgen. Bauern
mit vollbeladenen Eseln begegneten ihnen, andere
trieben Schweine vor sich her. Junge Frauen
trugen frisches Gemüse in einem Korb auf dem
Kopf. Auch Pilger waren schon unterwegs, zerlumpte
Bettler und Gestalten mit gierigen Blicken.
Nach einer Stunde wurde der Weg leerer. Leichter
Dunst lag über den Niederungen, aber die Hügel
glänzten in einem satten Grün, das durchsprenkelt
war von rotem Mohn.
Noch bevor die Sonne im Zenit stand, lagen einige
Meilen hinter ihnen. Es war heiß geworden, und
nun begegnete ihnen kein Mensch mehr. Silvias
Mutter tupfte sich die Schweißperlen von der
Stirn, und Rosella schlug vor, im Schatten eines
nahegelegenen Wäldchens zu rasten und zu frühstücken.
Die Mutter nickte. Die Männer der Eskorte ritten
voran, suchten nach einem geeigneten Platz.
Zwei ließen sich auf den Boden fallen und schlossen
die Augen, die anderen erklärten, sie wollten
nach Wasser suchen, hier gebe es zweifellos
Quellen. Sie verschwanden hinter den Bäumen.
Silvia hörte ihre Stimmen noch eine Weile. Dann
schienen sie vom Wald verschluckt. Vögelgezwitscher
stattdessen, unterbrochen vom Kläffen des Zwergspaniels,
den die Mutter unbedingt hatte mitnehmen wollen.
Rosella plapperte, ganz gegen ihre Gewohnheit,
aufgeregt vor sich hin, während sie die Tragetaschen
des Maultiers leerte und den Proviant aus den
Körben holte.
Silvia hatte sich auf den Boden fallen lassen.
"Papa wird uns hier nicht finden", sagte sie
zu ihrer Mutter, die, auf dem Rücken liegend,
verärgert die Fliegen verscheuchte.
"Doch, doch", rief Rosella.
"Wie ich ihn kenne, wird dein Vater gar nicht
vor heute mittag aufbrechen", antwortete die
Mutter und schloß seufzend die Augen.
Das Hündchen bellte noch immer aufgeregt. Rosella
fauchte es an und trat nach ihm, um das Gekläffe
zu beenden, aber erst als Silvia es auf den
Arm nahm, beruhigte es sich.
Rosella schaute sich um und verschwand dann
hinter einem Busch, um, wie sie rief, ihre Notdurft
zu verrichten. Kaum war sie verschwunden, stieß
sie einen lauten Schrei aus. Die beiden gerade
noch vor sich hindösenden Soldaten sprangen
auf, griffen nach ihren Waffen. Silvia schaute
sich verwirrt um und flüchtete sich zu ihrer
Mutter - da stürzten schon drei Männer hinter
dem Gebüsch hervor. Verfilzte Haare, Stoppelbart,
vor Schmutz starrende Kleidung. Aber aus edelsten
Stoffen! Für einen Augenblick schien Silvia
alles unwirklich, überlaut hörte sie ihren kleinen
Spaniel bellen, und schon befand sie sich mittendrin
im blutigen Handgemenge. Die beiden Schutzsoldaten
versuchten noch zu kämpfen, doch dem einen schlugen
die Wegelagerer die Hand ab, bevor er sein Schwert
heben konnte, dann rammten sie ihm einen Spieß
in die Brust, dem anderen spalteten sie den
Kopf. Auch das Hündchen mußte sterben, mit einem
Streich schlugen sie es in zwei Teile.
Silvia klammerte sich noch immer an ihre Mutter,
die um Erbarmen bettelte und Lösegeld anbot.
Einer der Männer riß die beiden auseinander
und hielt der Mutter den Mund zu, der andere
warf Silvia auf den Boden, und ehe sie sich
versah, waren schon Hände und Füße gefesselt.
Die Mutter wehrte sich mit erstickender Stimme
verzweifelt gegen die keuchenden und schnaufenden
Männer. Silvia wand sich auf dem Boden und suchte,
Hilfe zu erspähen. Vergeblich. Als sie laut
"Rosella, Rosella!" rief, drückte ihr einer
der stinkenden Wegelagerer den Mund zu und hielt
ihr sein Messer an die Kehle. "Ein Laut noch,
und ich rasier dich ab", spuckte er ihr ins
Gesicht. Die Mutter stöhnte und trampelte, während
ihr zwei Männer die Kleider vom Leib reißen
wollten. Das Messer schnitt Silvia in den Hals,
und voller Angst und Entsetzen rührte sie sich
nicht mehr. Ihre Mutter lag inzwischen halbnackt
auf dem Boden, von einem der Männer im Klammergriff
gehalten, während der andere ihre Knie auseinanderzudrücken
versuchte.
Der Mann, der Silvia gefesselt hatte, griff
nun auch ihr zwischen die Beine. Sein stechender
Gestank nahm ihr den Atem. Fluchend ließ er
wieder von ihr ab, weil ihn die Fesseln behinderten.
Die Mutter trat wild um sich. Der Stinkende
ließ Silvia liegen und schlug der Mutter mehrmals
ins Gesicht, bis ihr Blut aus Nase und Mund
floß, und drückte ihr dann sein Messer an den
Hals. Sie erstarrte und gab den Widerstand auf.
Der erste machte sich über sie her. Die Mutter
zuckte, bäumte sich auf, wollte schreien, wurde
aber gewürgt. Dann lag sie wie tot da, während
die Männer sich gegenseitig anstachelten und
sich, einer nach dem anderen, zwischen ihre
Beine knieten.
Hinter dem Busch tauchte nun ein vierter Wegelagerer
auf, Rosella hinter sich herzerrend. Ihre Haare
standen nach allen Seiten ab, ihr Hemd war so
eingerissen, daß eine ihrer Brüste freilag.
Zwischen den Beinen des Mannes baumelte unverdeckt
sein Geschlechtsteil, und grinsend machte er
eine unmißverständliche Geste. Freudiges Gejohle
der anderen Männern war die Antwort. Silvia
schrie schrill um Hilfe. Sofort ließ der Mann
Rosella los und warf sich auf sie. Er riß einen
Stoffetzen von ihrem Reisekleid und stopfte
ihn ihr in den Mund. "Gleich bist du dran!",
stieß er hervor.
Die Männer fesselten Rosella, nicht ohne grölend
ihre zweite Brust freizulegen, durchwühlten
anschließend die Taschen, steckten die Dukaten
und den Schmuck ein und stopften sich gierig
den Proviant in den Mund. Silvia schielte auf
ihre Mutter, die nun regungslos auf dem Rücken
lag, die Augen geschlossen. Zwischen ihren Beinen
hatte sich eine Blutlache gebildet. Aber dann
öffnete sie die Augen und stöhnte auf. Ihr Körper
krümmte sich. Die Männer schauten sich auffordernd
an.
"Mach du's!" stieß der eine hervor. Der Angeredete
schüttelte den Kopf.
Rosella, die zusammengekauert dabeigehockt hatte,
richtete sich plötzlich auf und schrie "Nein!".
"Halts Maul, Hure!" Sie konnte sich gerade noch
unter einem Faustschlag wegducken und warf sich
wimmernd auf den Boden.
"Wir müssen weg. Die stört nur", drängte der
erste Mann.
Die anderen kauten schmatzend.
"Und die Kleine?"
"Später..."
"Los, würfeln wir!" krächzte der erste Mann,
und schon warf er einen kleinen Knochen auf
das Tuch. Silvia schielte hin. Sie sah statt
der Punkte gekreuzte Schwerter, eine Axt, einen
Galgen. Als schließlich ein Totenkopf oben lag,
brüllten die Männer auf. Einer zog das Messer,
mit dem er gerade ein Stück Schinken geschnitten
hatte, durch den Mund und erhob sich, verärgert
grunzend. Silvia sah nur noch Rosellas entsetzten
Blick und schloß die Augen. Ein Augenblick lang
herrschte eine ungewöhnliche Stille, keine Schmatzgeräusche,
kein Sprechen, kein Schreien. In dieser Stille
hörte Silvia plötzlich laut und vernehmlich
einen Vogel singen. Und in den Gesang hinein
einen erstickten Gurgellaut.
Es dauerte eine Weile, bis sie wieder wagte,
die Augen zu öffnen. Rosella hatte ihren Kopf
zwischen den Knien verborgen. Der Vogel sang
noch immer.
"Wir sollten verschwinden", sagte einer der
Männer zwischen zwei Bissen.
Ein anderer wies mit einer Kopfbewegung auf
Silvia. "Und sollen wir die etwa mitschleppen?"
"Die ist sicher noch Jungfrau", sagte der dritte
und leckte sich über die Lippen.
Ein dreckiges Lachen folgte, und vier Augenpaare
richteten sich gierig auf ihren Körper. "Bald
nicht mehr!" Ein weiteres Gelächter, dann rissen
sie wieder mit ihren faulen Zähnen Stücke aus
dem gepökelten Fleisch, wie Straßenköter, die
sich über Aas hermachen.
"Wir packen die Weiber aufs Pferd und hauen
ab, die hatten sicher nicht nur zwei Männer
dabei." Der Mann goß sich Wein aus einem Ziegensack
in den Mund, und der rote Saft floß ihm über
die Mundwinkel in den Bart. Sein Kumpan kroch
mit gezücktem Messer auf Silvia zu und schnitt
ihr die Fußfesseln durch.
"He, das Täubchen läuft uns noch weg!"
"Keine Angst", rief der Mann und entblößte seine
braunen Zahnstummel. "Die pfähl ich, daß sie
sich nicht mehr rühren kann." Er schnitt Silvia
ins Reitkleid und entblößte ihre Beine.
"Laß sie, wir hauen ab! Später ist noch genug
Zeit..."
Einer zerrte Rosella zum Pferd und band sie
bäuchlings auf dem Sattel fest. Aus aufgerissenen
Augen blickte sie Silvia bettelnd an. Schon
schlug Silvia wieder der unglaubliche Gestank
des Mannes entgegen. Er nahm ihr den Knebel
aus dem Mund und stülpte ihr seine Lippen entgegen,
als wolle er sie küssen. Schnell wandte sie
sich ab. Ihr Blick fiel auf ihre Mutter. Sie
lag noch immer auf dem Rücken, den Kopf zur
Seite gedreht, die Augen starr nach oben gerichtet.
Aber ihr Hals, ihr Hals klaffte wie ein aufgeschnittener
Granatapfel.
Silvia öffnete den Mund, um zu schreien. Die
Stimme versagte. Sie glaubte sich übergeben
zu müssen, doch ihr Körper bebte nur und verkrampfte
sich. Dann überschwemmte sie wieder eine Woge
des Gestanks. Der Mann mit dem entblößten Geschlechtsteil
biß sie ins Ohr und kniete sich dann zwischen
ihre Beine. Silvia starrte auf das gerötete
Teil, das sich drohend aufrichtete, das immer
höher wuchs und gierig zuckte. Und daneben die
blutverkrustete Hand, auf der sich lange schwarze
Haare wie eine Schlangenbrut ringelten. Sie
schloß die Augen, und mit Gewalt spreizte der
Mann ihre Schenkel.
Silvia glaubte, sterben zu müssen. Sie wartete
auf den Schmerz, der spitz in sie eindringen
mußte, um ihr dann das Becken auseinanderzureißen.
Das Schnaufen kam näher. Stumm begann sie, das
Ave Maria zu beten. Sie krampfte sich zusammen,
und ihre Sinne strömten alle zu der Körperöffnung
zwischen ihren Beinen. Plötzlich Hufgetrappel,
ein aufwieherndes Pferd, Schreie und Flüche.
Sie riß ihre Augen auf, flog zur Seite. Vor
ihr, hoch zu Roß, ein Mann, ein junger Edelmann.
Ein flammender Retter, von der Jungfrau geschickt,
ein Erzengel, ein Gottesstreiter. Er hielt in
seiner Hand einen Jagdspieß. Hinter ihm zwei
Gehilfen.
Die Wegelagerer stürzten zu ihren Waffen. Da
schnellte der Arm des Reiters nach vorne, und
schon steckte der Jagdspieß einem der Räuber
in der Brust. Der Räuber starrte hoch, aus seinem
Mund quoll ein Schwall von Blut, er torkelte
einen Schritt vor und brach zusammen. Der Retter
riß nun sein Schwert aus der Scheide und trieb
sein Pferd direkt auf den zweiten Wegelagerer
zu, ließ es vor ihm hochsteigen und ausschlagen.
Vom Huf an der Schulter getroffen, ging der
Mann zu Boden. Inzwischen rangen, den Dolch
in der Hand, die Jagdgehilfen mit den zwei restlichen
Räubern, und jetzt stürzten auch die Männer,
die Wasser hatten holen wollen, aus dem Wald
herbei. Blut spritzte Silvia ins Gesicht. Drei
Wegelagerer lagen schon verrenkt auf dem Boden.
Der vierte versuchte zu fliehen. Aber der Retter
setzte ihm nach, spannte seinen Bogen, und mitten
im Galoppieren ließ er den Pfeil abschwirren.
Kopfüber stürzte der Flüchtende zu Boden.
Silvia war gerettet. Starr lag sie auf dem Rücken,
die Bilder des Geschehenen wirbelten zusammen
und stürzten ab, ihr wurde schwarz vor Augen.
Aber dann war sie wieder da, ganz wach, und
wollte aufspringen.
Rosella wurde losgebunden. Sie lachte und weinte,
schluchzte und schrie.
Silvia griff nach dem Kleid und bedeckte ihre
Blöße. Ihr Retter war vom Pferd gestiegen und
wies auf die Mutter. "Legt sie in eine Decke!",
rief er seinen Gehilfen zu.
"Mama!" flüsterte Silvia und warf sich auf den
leblosen Körper.
Der rettende Engel nahm sie in den Arm. "Ihr
ist nicht mehr zu helfen. Der Herr hat sie zu
sich genommen."
Silvia drohte zu Boden zu sinken. Er hielt sie.
Sie fühlte nichts mehr.
"Ihr seid gerettet", flüsterte er.
Silvia entzog sich seinen Armen und starrte
auf die Decke, unter der die Mutter lag.
Rosella richtete ihr Kleid. Mehrfach warf sie
einen forschenden Blick auf den Retter, und
als dieser ihn mit einem erstaunten Gesichtsausdruck
erwiderte, wandte sie sich wieder Silvia zu.
"Meine Kleine", stieß sie unter Schluchzen hervor.
"O Gott, was ist geschehen! Die Mörderbande!
Ich werde sie vernichten!"
Als Silvia, noch immer am ganzen Körper zitternd,
stammelnd dem Retter dankte, trat er einen Schritt
zurück und neigte seinen Kopf: "Mein Name ist
Alessandro Farnese. Ich bin apostolischer Skriptor.
Ich war auf der Jagd. Zum Glück ..."
"Ich heiße Silvia Ruffini," brachte sie hervor.
"Meine Mutter wollte mit mir nach Bracciano
reisen, damit ich..." Ihre Stimme versagte,
und der starke Engel nahm sie erneut in die
Arme.
Angeführt
von Alessandro Farnese und seinen beiden Jagdgehilfen,
ritten sie schließlich nach Rom zurück. Zwei
Männer der Schutztruppe verdrückten sich, nachdem
sie die Porta del Popolo durchschritten hatten.
Die Decke, in die die Mutter eingewickelt war,
troff vor Blut. Es lief die Flanke des Maultiers
hinab und tropfte auf den Boden. Hinter ihnen
eine Blutspur und das Geschrei neugieriger Menschen.
Als sie das Haus der Ruffini erreichten, tobte
die Menge, als wäre sie von einer Hinrichtung
angestachelt. Die Mägde stürzten aus dem Portal
und schrien auf, die Pferdeknechte brüllten
nach dem Vater. Er eilte die Treppe herunter.
Als er sah, daß man eine eingewickelte Leiche
auf eine Bahre legte, erstarrte er. Er faßte
sich an den Hals, bedeckte sein Gesicht mit
den Händen. Schließlich bekreuzigte er sich
und schlug die Decke zurück. Noch hatte niemand
ein erklärendes Wort geäußert. Alle starrten
den Vater an, danach die Tote. Silva sah ihre
Mutter zum letzten Mal - mit einem schwarzen
Kranz um den Hals, einem aufgerissenen Mund
und halbgeöffneten, starren Augen. Rosella wollte
sich jammernd über sie werfen, aber Alessandro
Farnese hielt sie zurück, und sie warf sich
an seine Brust. Er befreite sich von ihr und
trat mit dem Vater noch näher an die Mutter
heran. Sie bekreuzigten sich erneut, dann berührte
der Vater die Tote mit den Lippen. Sein Miene
war versteinert, aschfahl sein Gesicht. "Er
hat es gewußt!" flüsterte er tonlos. Auch Silvia,
am ganzen Körper zitternd, beugte sich noch
einmal über die Mutter.
Der Vater befahl, die Tote ins Haus zu bringen
und einen Priester zu rufen. Dann ließ er sich
erzählen, was geschehen war. Wortlos umarmte
er schließlich den Retter seiner Tochter.
Alessandro Farnese blieb bis zum Abend bei ihnen,
und Silvia spürte, wie sie sich darüber freute.
Ihr Vater dankte ihm immer wieder, und dabei
drückte er sie an sich. Tränen rannen den Männern
über die Wangen. Silvia versuchte, das Zittern
ihres Körpers zu unterdrücken. Sie starrte auf
Alessandros lange, feingliedrige Finger, als
könnten sie ihr Trost spenden, als läge in ihrer
Berührung ein tiefer Segen. Dann schaute sie
ihm ins Gesicht: liebevolle Augen voller Mitleid
und Güte. Er sagte etwas, was sie nicht verstand,
sie hörte nur die weiche Stimme. Er war ihr
so seltsam vertraut, so nah...
Langsam ließ das Zittern nach.
Der Vater jammerte. "Ich verstehe es nicht,
ich kann es nicht verstehen. Ich bin ein friedlicher
Mann, noch nicht einmal besonders reich, habe
keine Feinde... O Gott, zuerst meine Söhne,
jetzt meine Frau, warum muß der Herr mich so
strafen!" Und er brach wieder in Schluchzen
aus.
Alessandro nickte, warf dann, schmerzlich lächelnd,
einen Blick auf Silvia. "Eure wunderbare Tochter
hat der Herr verschont", sagte er, ohne seinen
Blick von ihr abzuwenden. "Er muß mit ihr noch
viel vorhaben." Er zupfte sich seinen Jagdkittel
zurecht und strich sich über die Haare.
Der Vater drückte Silvia erneut an sich. Sie
spürte seine Wärme, den vertrauten Geruch. Ach,
ihr geliebter Vater, ohne ihn könnte sie nicht
leben! Für einen Augenblick schien die geschändete
und ermordete Mutter nicht mehr zu existieren.
Die beiden Männer blickten Silvia an und schienen
sich dann gegenseitig einer Prüfung zu unterziehen.
"Die Orsini sind für uns verloren", sagte der
Vater, und seine Stimme wurde sachlich und kalt.
"Wenn erst einmal durchsickert, was geschehen
ist... Hoffentlich sind andere Familien nicht
so anspruchsvoll und übersehen das Unglück.
Sonst bleibt nur das Kloster."
Entsetzt schrie Silvia "Nein!".
"Ist ja gut, mein Püppchen", versuchte er sie
zu beruhigen.
"Sie blieb unberührt, das ist sicher", flüsterte
Alessandro dem Vater zu. "Es gibt keinen Grund,
Ihr versteht..."
Dann starrten die Männer stumm in die verrußte
Öffnung des Kamins. Silvia hockte, in Decken
gehüllt, dabei. Immer wieder lief das blutige
Geschehen vor ihren Augen ab, und immer strahlender
erschien ihr der von Gott gesandte Retter.