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Mutmaßungen
über einen verlorenen Sohn
Ernst Berger, Süddeutsche Zeitung,
21.12.1991
Eines
Tages hat er sich innerlich davongemacht. Wann
genau es geschah, kann ich nur mutmaßen:
vielleicht vor fünf Jahren, als der Siebzehnjährige,
angesprochen auf seine Einstellung zu Arbeit
und Zukunftsperspektive, angesprochen auf irgendeine
Zielrichtung und vage Vorstellung, nur mit den
Achseln zuckte und meinte, in fünf Jahren
seien wir sowieso alle tot. Väterliche
Fragen, natürlich: da droht sofort der
erhobene Zeigefinger. "Ein Leben, das dazu
dient, Zeit totzuschlagen, bezahle ich nicht."
So der Vater. Und der Sohn: "Dazu kannst
du gerichtlich gezwungen werden." Drohung
und Gegendrohung. Klappe runter. Szene aus.
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Ich
kann noch nicht einmal sagen, daß wir
uns an diesem Abend gestritten hätten.
Eine gewisse Mißstimmung herrschte, Unzufriedenheit,
aber zu einer Auseinandersetzung sollte es nicht
kommen. Der Sohn, bei seinem jährlichen
Besuch, hauste wie ein Schatten im Keller. Vierzehn
Stunden Schlaf, bis mittags, zum Essen tauchte
er auf, die schwarzgefärbten Haare punkig
hochgestylt, grinsend, nicht unfreundlich, später
tauchte er wieder weg und blätterte stundenlang
Zeitschriften durch. Abends hatte er "Bock"
auf Horrorfilme.
Nach zehn Tagen zog er wieder ab. Alle waren
wir unzufrieden und waren doch nicht in der
Lage gewesen, den richtigen Ton zu finden, nicht
einmal eine entspannte Gemeinsamkeit herzustellen.
Einmal versuchten wir es: Wir spielten das Welteroberungsspiel
"Risiko", und der Vater konnte es
nicht lassen, den Sohn nach Australien zurückzudrängen
und schließlich zu besiegen. Ein letztes,
symbolisches Kräftemessen mit Hilfe von
Würfeln und begleitet von flotten Sprüchen?
Heute, fünf Jahre später, leben wir
beide noch - die Apokalypse ist aufgeschoben
-, aber mein Sohn hat sich in ein unwegsames
Land zurückgezogen. Vielleicht fühlt
er sich verstoßen, ausgesetzt in eine
karge Welt, in der man zum Überleben weder
Romane noch Ratgeber braucht, statt Sprache
Musik, statt Anpassung Protest, wilde Frisuren,
Fallschirmspringerstiefel und zu allem die nötige
"Knete".
Es gibt Momente, da erschrickt man, zuerst unmerklich,
später, wie nach einem verspäteten
Blitz, in einem gleißenden Bewußtsein.
Unterhaltung mit guten Bekannten über die
gleichaltrigen Söhne. Sie erzählen,
Stolz und Liebe in ihrer Stimme, von Taten und
Entwicklung ihres Sprößlings. Ich
dagegen kann nur Mutmaßungen äußern,
weil ja mein Sohn seit fünfzehn Jahren
nicht mehr mit mir zusammen lebt und ich seit
mehreren Jahren nur aus zweiter und dritter
Hand etwas über ihn erfahre. Ich mache
mir Sorgen um seine Zukunft und ereifere mich,
vor allem deswegen, weil ich nur ohnmächtig
zuschauen kann. Mein Sohn ist fern, ich suhle
mich in Pessimismus, wähne ihn längst
verloren. Dann eine längere Gesprächspause.
Schließlich fragt unsere Bekannte: "Gibt
es denn gar nichts an ihm, worauf du stolz bist?"
Ich schweige, weil mir die Frage und ihr Unterton
die Sprache verschlägt, weil mir bewußt
wird, daß es nur eine Antwort gibt, und
weil ich nicht lügen will.
Der Abend draußen auf der Terrasse, in
der lauen Frühlingsluft, verläuft
angenehm friedlich. Aber die Bekannten haben
sich nie wieder gemeldet.
Seitdem fahnde ich nach etwas an meinem Sohn,
worauf ich stolz sein kann, aber ich kann den
Schrecken von damals nicht vergessen.
Jetzt kam es doch wieder zu einer Begegnung.
Der Vater hatte sich erneut aufgemacht, den
Sohn zu besuchen, in seinem Häuschen am
Rande einer norddeutschen Provinzstadt, noch
ganz dörflich. Eine winzige Kate, zwischen
Scheunen und Bauernhäusern versteckt. Mir
schießt erneut die Befürchtung durch
den Kopf, er könne sich, wie beim letzten
Mal, davongestohlen haben, um sich nicht einmal
in seiner eigenen Wohnung von mir finden zu
lassen. Aber diesmal ist er bereit, mich zu
empfangen: Es öffnet sich eine Tür,
zuerst sein Lächeln und eine erstaunlich
herzliche Begrüßung, allerdings nicht
ganz ohne Verspannung, dann aber tritt er zur
Seite, und vor mir steht ein junges Mädchen.
Diese Überraschung ist ihm gelungen, von
einer Freundin war bisher nie die Rede. Um mich
auf die neue Situation einzustellen, lasse ich
mich erst einmal durch das Spielzeughäuschen
führen, das er sich geschickt hergerichtet
hat, in einer Sperrmüllgemütlichkeit,
wie sie unser Ideal vor zwanzig Jahren war.
Dominierender Eindruck: Matratzen auf dem Boden,
Pflanzen an allen Fenstern, eine üppige
Musikanlage mit einer größeren Anzahl
von Schallplatten ("Der einzige Luxus,
den ich mir leiste."). Keine Heizung, nur
ein Radiator, der ein einziges Zimmer schwach
erwärmt.
Nach der Besichtigung hocke ich mich auf eine
der Matratzen, und wir markieren unsere Gesprächsreviere.
Das Mädchen hat Vorbehalte gegen Erwachsene
ganz allgemein, gegen mich im besonderen, das
spüre ich sofort, aber ich spüre auch
hinter der ruppigen Fassade Verletzlichkeit,
Wachheit und das trotzige Wissen, die Zukunft
alleine bestehen zu müssen, ohne die Hilfe
von hilflosen Erwachsenen. Das Mädchen
sitzt zwischen Vater und Sohn, trennend, vielleicht
auch vor Übergriffen schützend. Mein
Sohn halb abgewandt, aber lächelnd. Beide
mustern wir uns verstohlen. Ich stelle dem Mädchen
neugierige Fragen, nicht gerade nach dem Beruf
ihres Vaters, aber doch nach ihren augenblicklichen
Tätigkeiten und Plänen, frage sie,
wie sie meinen Sohn kennengelernt habe, der
übliche Überbrückungs- und Beschnupper-Small-Talk.
Natürlich findet sie meine Fragen aufdringlich,
sie beantwortet sie dennoch knapp, aber präzise,
und schon sind wir bei allgemeinen lebensphilosophischen
Erörterungen. Ich kann offensichtlich kaum
noch mit jungen Erwachsenen reden, ohne sofort
Verhaltensweisen wie Aktivität, neugierige
Zielstrebigkeit und Lernbereitschaft zum Zentrum
des Gesprächs zu machen. Passivität,
laufenlassen, unschlüssig in den Tag leben
- von dem Geld der Eltern natürlich -,
das sind Horrorvisionen, die ich sofort anprangere.
Meine beiden Gesprächspartner widersprechen
mir. Sich nicht anstrengen und ein gutes Leben
führen, abwarten und sehen, was kommt,
darin liegt ihre Lebenseinstellung.
Die Felder sind abgesteckt, die Auseinandersetzung
kann beginnen. Aber sofort erklärt mein
Sohn: "Und wenn ich mich nicht auseinandersetzen
will?" Seine Freundin fügt hinzu:
"Ich halte mich da raus." Sie lehnt
sich zurück und hört schweigend zu,
was sich Vater und Sohn, die sich nun doch auseinandersetzen,
gegenseitig an den Kopf werfen. Eine gemeinsame
Basis ist nicht mehr erkennbar. Es geht um die
Aufrechnung von Geld gegen Information, Scheck
gegen Brief. Bis in diese Niederungen des Verhaltens
sind wir schon gekommen. Mein Sohn hat keine
Lust, Briefe zu schreiben, zumal es nichts mitzuteilen
gibt, wie er meint, weil alle Mitteilungen,
die mich interessieren, mich nichts angehen.
Einmal, ein einziges Mal, hat er sich brieflich
geöffnet, aber das war sein größter
Fehler, wie er heute meint, eine einzige schwache
Minute, da hat er sich verwundbar gemacht. Umso
mehr mußte er sich anschließend
abschotten. Er verweigerte jedes Gespräch,
jedes Treffen, nahm keine Hilfe an. Mißtrauen
Erwachsenen gegenüber muß seine oberste
Maxime sein. Eltern sind Verräter. Und:
Sie haben eine lebenslange Schuld den Kindern
gegenüber abzutragen, mit Zins und Zinseszins.
Tatsächlich hasse ich mich, nein, ihn dafür,
daß ich alle meine Erziehungsideale verraten
und widerrufen mußte, daß ich mich
härter und fordernder verhalte als die
Generation meines eigenen Vaters, die jetzt
im milden Schein des Lebensabends größeres
Verständnis und Entgegenkommen zu zeigen
vermag als ihre damals so scharf gegen sie protestierenden
und so weichlich antiautoritären Söhne.
Die Rolle des verständnisvoll-väterlichen
Freundes, die ich meinem Sohn gegenüber
spielen wollte, wurde nicht angenommen. Ich
agierte auf leerer Bühne, wartete darauf,
daß mein Sohn seinen Part spielte, aber
er inszenierte lieber sein eigenes Stück.
Ein absurdes Theater.
Er entwickelte sich in eine andere Richtung.
Ich wußte, daß Eltern kein Recht
haben, ihre Wünsche und Hoffnungen auf
ihre Kinder zu projizieren, und versuchte, ihn
seinen Weg gehen zu lassen, zumal mein Einfluß
aus weiter Entfernung, als Vater-Schimäre,
als Funktion ohne Stimme, gering bleiben mußte.
Mein Sohn lebte bei seiner Mutter, unter dem
Einfluß einer Frau, von der ich erst viel
zu spät erkannte, daß sie meine Erziehungsideale
nie geteilt hatte, die meine Lust an der verbalen
Auseinandersetzung systematisch unterlief und
mich damit in die Rolle des Cholerikers drängte.
Hie das verletzte Schweigen der angeblich schönen
Seele, dort die aufbrausende Rechthaberei. Hie
die untergründige Macht der Schwäche,
die sich dem Gegner nicht stellt, dort der unvorsichtige
Sturmangriff, der in einen Hinterhalt gerät.
Zwischen den Fronten, wie immer, das Kind. Nach
dem Waffenstillstand dann das Wundenlecken der
Eltern. Wer kümmerte sich aber um die Wunden
des Kindes? Vielleicht stellt sein Rückzug
in die Sprachlosigkeit nur eine logische Konsequenz
dar, eine Antwort auf die übermächtige
Herrschaft der Worte. Vielleicht vertraut auch
er der provokanten Macht des Schweigens.
Über lange Jahre der Trennung hinweg konnten
sich Vater und Sohn ein Gaukelbild der konfliktlosen
Liebe vortäuschen, eine Nähe trotz
der Entfernung fühlen: Gemeinsame Reisen
an das Mittelmeer, Wanderungen durch deutsche
Mittelgebirge, Besichtigungen der Loireschlösser,
Ritterspiele. Ich war stolz auf ihn, weil er
in seinen kindlichen Schiffsgemälden ganze
Geschichten erzählte, weil er schöne
Phantasiehäuser aus Legosteinen baute und
aus Gerümpel Spielzeug erschuf. Aber ich
wartete vergeblich, daß er diese Begabungen
weiterentwickelte, überhaupt etwas aus
sich machte. Ich hoffte auch, daß er mir
von seinen Gefühlen erzählte, mich
nach meinen fragte, sich nach den Ursprüngen
unserer gemeinsamen Geschichte erkundigte. Die
Jahre verstrichen, nichts geschah, auch ich
blieb, enttäuscht, stumm. Dann versuchte
er mit mir zu konkurrieren. Aber ich blieb der
Stärkere. Sollte ich ihn freiwillig siegen
lassen? Das hätte ihm doch nur seinen Sieg
vergällt. So dachte ich.
Als mein Sohn begann, sich von mir abzusetzen,
während er, selten genug, mit mir zusammen
war, reagierte ich mit Mißtrauen und autoritären
Gesten. Ich wollte ihn vielleicht nicht erwachsen
werden, der äußeren Trennung keine
innere folgen lassen. Die Übernahme von
Jugendmoden - poppiger, dann punkiger Haar-
und Kleidungsstil, Lust an aggressiver Musik,
Comic- und Kürzelsprache - verfolgte ich
mit Skepsis. Inwendig runzelte ich die Stirn,
sagte aber nichts. Als er sich in meinem Campingbus
als gelehriger Mitfahrer erweisen wollte und
sich beim Zusammenklappen des Hubdaches ungeschickt
anstellte, raunzte ich ihn an und wies ihn somit
in seine Grenzen. Er sollte das Kind bleiben,
das ich noch in ihm sah, und sich am besten
mit einem Sprung ins Erwachsensein katapultieren.
"Ich helfe dir nie mehr!" rief er
trotzig, und mir gelang es nicht, mich für
meinen ungeduldigen und ausfälligen Ton
zu entschuldigen. Brach damals schon die - nur
vermeintliche? - Vertrautheit zwischen uns entzwei?
Es gibt immer wieder aufblitzende Erinnerungsmomente
an seine Kleinkinderzeit, in der die Kleinstfamilie
noch zusammenlebte, konfliktreich zwar, aber
ohne den Gedanken an ein mögliches Auseinanderfallen.
Er steht in seinem leuchtend roten Lackmäntelchen
auf einem Waldweg und rührt sich nicht
mehr vom Fleck, er will seine Eltern nicht weiter
begleiten. Alles Rufen, Bitten, Drohen bewirkt
nichts. Wie zu Stein erstarrt, trotzt er durch
Bewegungslosigkeit. Eine kindliche Große
Weigerung, eine unangebrachte Übernahme
väterlicher Phantasien, die sich nie realisieren
ließen und wohl auch nicht ernst gemeint
waren. Aber konnten sich Marcuses Gedanken in
einem kindlichen Kopf einnisten? Ich mußte
zu meinem Sohn zurückgehen und ihn wie
ein Stück Holz wegtragen.
Heute vermag ich ihn nicht mehr zu tragen, und
wenn ich zu ihm gehe, versteckt er sich. Oder
schaut an mir vorbei, während er die Hand
aufhält, nicht ohne gleichzeitig zu betonen,
ich solle ihn gefälligst in Ruhe lassen.
Es gibt, so denke ich heute manchmal, eine Erziehungshaltung,
die sich auf Kinder katastrophal auswirken muß
oder, zumindest, kann: zu sehr behüten,
alles erlauben, die Nachsicht bis zur Selbstaufgabe
treiben und gleichzeitig dauernd entmutigen.
Wer unter dem Einfluß solcher Verhaltensdrogen
aufwächst, ruhiggestellt in einer Gummizelle,
bleibt auf ewig in einer unsichtbaren Sicherheitsverwahrung.
Die Schule betrachtete mein Sohn als Schonzeit.
Trotzdem gelang es ihm, immer wieder drohende
Klippen zu umschiffen, außerdem zeigt
die heutige Schule ihren Zöglingen nur
selten richtig die Zähne, und so kam es
zu keinem Schiffbruch. Als der Vater sich einmal
mit den Lehrern über den gefährlichen
Kurs seines Sohnes informieren wollte, wurde
ihm mit dem Hinweis auf die inzwischen eingetretene
Volljährigkeit und den Datenschutz die
Auskunft verweigert. Dann aber erreichte der
Sohn doch noch das Abitur, mit Ach und Krach,
wie man früher zu sagen pflegte. Alle atmeten
auf. "Ich hatte eine gute Zeit", erläutert
er heute den dornigen Weg seiner Mißerfolge,
den das Zeugnis der Reife krönte.
Endlich konnte er die Kopfarbeit abwerfen und
begann eine Gärtnerlehre. Die Arbeit erfordert
zwar frühes Aufstehen und körperliche
Anstrengung, aber sie macht ihm Spaß.
Ich bin froh über seinen Schritt - und
denke sofort wieder voraus in die Zukunft. Aber
von der Zukunft will mein Sohn nichts wissen.
Er lebt ja heute. Diese schlichte Wahrheit will
mir nicht in den Kopf.
Mit seiner Lehrlingsvergütung kommt er
nicht aus und erwartet von seinen Eltern, daß
sie ihn unterstützen, immer wieder dieses
leidige Thema. Er beschimpft mich, weil er glaubt,
er erhalte zu wenig Geld von mir. "Ihr
habt mich gewollt, also müßt ihr
mich auch unterstützen."
Wir beginnen gemeinsam zu rechnen. Seine kleine
Wohnung ist inzwischen auch nicht mehr billig,
vor allem, wenn man die Heizkosten bedenkt,
und in der Universitätsstadt, in die er
zur Arbeit fahren muß, gibt es, nach seiner
Auskunft, keine Zimmer, schon gar keine billigen.
Das Auto verschlingt ebensoviel Geld wie seine
Unterkunft. Aber präzise Zahlen liegen
nicht vor, also verlassen wir das Thema und
kommen auf seine täglichen Arbeiten zu
sprechen. Die Berufschule findet er "ätzend",
natürlich, das ist die alte Öde zwischen
Büchern und Bänken, unter dem langweiligen
Singsang der Lehrer. Mittags kauft er sich ein
Sandwich, halb vier ist Feierabend, dann muß
er erst einmal schlafen. Zigaretten werden meist
gedreht, aus Kostengründen. Immerhin: ich
sehe einen Fernsehapparat (alt) in der Wohnung,
einen Videorecorder, natürlich eine Stereoanlage
und einen kleinen Mikrowellenherd (von seiner
Mutter). Ich beobachte ihn: Er hat sich inzwischen
wieder eine zivile Frisur zugelegt, ist dünn
wie eh und raucht zuviel. Was weiß ich
schon von ihm? So gut wie nichts. Ich bleibe
angewiesen auf sichtbare Details, an die sich
Vermutungen knüpfen, Befürchtungen,
Hoffnungen.
Mein Sohn ist zu einer Leerstelle in meinem
Lebensroman geworden, um die herum sich mehr
Lebenslinien und Motive gruppieren, als ein
Außenstehender erwarten würde. Denn
einmal war da etwas, was sich dann wie nach
einer Implosion in ein schwarzes Loch verwandelte.
Vielleicht verstelle ich mit dieser metaphorischen
Suchbewegung nur eine Wahrheit, mit der ich
mich so schwer abfinden kann: Daß ein
abwesendes Kind, ohne es zu wollen, wichtige
Weichen meines Lebens gestellt hat, ohne daß
ich die Bahn seines Leben entscheidend mitbestimmen
konnte. Aber ich vermute, daß in diesem
Gedanken nur wieder eine väterliche Größenphantasie
steckt, vor der sich mein Sohn verstecken möchte.
Und wohl zu recht. Einer meiner Freunde, ein
Pfarrer, riet mir weise: Du mußt loslassen
können. Tja, wer das könnte!
Immerhin: Als ich mich wieder von meinem Sohn
verabschiedete, umarmte er mich zögernd,
zaghaft. Vielleicht liegt in dieser Geste mehr
Wahrheit als in all den Worten, die wir in den
vorhergehenden Stunden sprachen.
(1991)
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